Beschreibung
Vier Frauen, ein magisches Kleid und die Liebe die Wiederentdeckung eines zauberhaften Romans aus den 30er Jahren La joie tremblante, zitternde Freude, nennt ein Pariser Modeschöpfer sein neuestes Modell, ein weißes Abendkleid. Er spürt sofort, dass er ein Kleid erschaffen hat, das sich von all seinen bisherigen Kreationen unterscheidet. Und tatsächlich: Von dem Kleid geht eine Magie aus, die seine Trägerin verändert und ihr bisheriges Leben in Frage stellt. Von dem jungen Mannequin Sonja, über die exzentrische schwedische Filmdiva Anne Lund, deren Schwester Maria Barthoud, bis hin zu deren Hausmädchen Ilka das Kleid verhilft jeder zu ihrem ganz eigenen Abenteuer
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Sonja In den Straßen von Paris lag so viel Frühlingssonne, daß die Stadt an diesem Morgen ihr Stadtgesicht verlor. Auch in den engen Gassen rechts und links der großen Straßen lagen langgezogene Sonnendreiecke; der Asphalt glitzerte vielfarbig, wie wenn verborgene Diamanten in seinen schwarzen Teig hineingebacken worden wären. Sogar die Schachtdeckel am Trottoirrand und die Abfallkästen vor den Haustüren glitzerten, aber die Schaufenster waren blind von Sonnenstaub. Ein richtiger Frühlingstag ist ein seltenes Ding. Er ist plötzlich da, hält sich nicht an den Kalender und hält sich auch nicht lang. Und die Menschen lachen. Sie ziehen helle Sachen aus den Schränken und eine hellere Laune aus dem Herzen. Sie blinzeln in die Sonne und können nicht glauben, daß es irgendwo in der Welt Krieg geben kann, oder Haß, oder Streit. Und wenn sie dann doch von solchen Dingen hören, denn irgendwo in der Welt mag es gerade regnen, dann schütteln sie ungläubig den Kopf, und die Sonnenstrahlen auf ihren Haaren schütteln sich mit. An diesem Frühlingstag schritt Anne Lund, von der Madeleine kommend, die Rue Tronchet entlang auf das Haus von Partout zu. Vor dem Haus stand ein Bettler mit einem Schifferklavier und spielte laut. Er sang und lachte dazu. Lachen ist ein guter Trick für Bettler. Lachen trägt mehr ein als Jammern. Anne Lund bewies ihm das. Der Frühling lag ihr in Armen und Beinen. Sie summte vor sich hin, machte große Schritte und war überzeugt, daß die Welt gut und schön sei. Dieser Ansicht war sie nicht immer. Weltanschauungen hängen meistens vom Wetter ab. Sie blieb ein paar Sekunden vor der Auslage einer Modistin stehen und besah sich seltsame Gebilde, die vorgaben, Hüte zu sein. Partout hatte nicht ausgestellt. Partout war ein exklusiver Schneider. Anne Lund spiegelte sich in der Scheibe der Auslage zwischen den Hutgebilden. Ihr schmaler Kopf, die Fülle der rötlichen Haare, die weißen Zähne, die Augen mit dem Goldschimmer waren durch häufige Reproduktionen der Reklamesäulen und der Zeitschriften weltbekannt. Aber die eigenartige und trotz aller Aufmachung kindlich-rührende Schönheit ihres Gesichtes sah man nur, wenn man ihr gegenüberstand. Anne Lund betrachtete sich kritisch in der staubigen Glasscheibe. Sie stand sich und dem Leben objektiv gegenüber. Aber heute beschloß sie, weiterzugehen und sich keine Gedanken zu machen. Das war eine der Wirkungen des Frühlings. Sie öffnete die schwere Haustür dieses alten, geräumigen Pariser Geschäftshauses. Sie wollte oben bei Partout die zweite Frühjahrskollektion besichtigen. Der Eingang zu Partout lag im 1. Stock. Sie ging am Lift vorbei zur Treppe und summte immer noch vor sich hin. Sie wäre wohl an diesem Tage auch in den fünften Stock hinaufgestiegen. Treppensteigen und Leben erschienen ihr heute gleicherweise leicht. Wenn einer ihrer Kritiker sie so gesehen hätte, würde er behaupten, daß ihr jede Art von Aufstieg von jeher leichtgefallen sei. In allen Biographien der Lund konnte man das lesen. Aber Biographien zu Lebzeiten sind auf Glanzpapier aufgezogene Redensarten. Zugegeben, Anne Lunds Bühnenlaufbahn war nicht kompliziert genug für einen Sensationsroman. Aber das Wort Laufbahn betrifft auch nur die Außenseite. Von ihrem richtigen Leben sagte es nichts aus. Vor fünfzehn Jahren schon, nach ihrem ersten Auftreten in einem Avant-Garde-Theater, das im Keller eines russischen Restaurants stationiert war und nicht mehr als achtzig Sitzplätze hatte, schrieb die Kritik: 'Außerdem fiel eine junge Schwedin auf, Anne Lund, von der wir Größeres erwarten.' Später hieß es: 'Anne Lund, die ihre schwedische Eigenart mit der unsrigen in genialer Weise verschmolzen hat, stellte ihr Können erneut unter Beweis.' Fünf Jahre später: 'Anne Lund, hinreißend wie immer.' Und sechs Jahre später: 'Anne Lund, die gefeierte Darstellerin unserer Bühnen, hat einen Filmvertrag nach Hollywood angenommen. Ungern lassen wir sie ziehen.' Und in letzter Zeit: 'Unsere Anne Lund ist wieder da. Erfri Leseprobe