Beschreibung
Bis zu seinem Tod am 16. Oktober 2010 in Berchtesgaden arbeitete der Schriftsteller und Filmemacher Thomas Harlan an seinem letzten Text mit dem Titel Veit. Der an seinen Vater, den Filmemacher Veit Harlan (JUD SÜSS) gerichtete Monolog, setzt sich in direkter Weise mit der Rolle seines Vaters im NS-Regime und der Frage der persönlichen Schuld auseinander. "Ich bin der Sohn meiner Eltern. Das ist eine Katastrophe. Die hat mich bestimmt." Diese Aussage von Thomas Harlan, Sohn von Veit Harlan, dem Regisseur des antisemitischen Films JUD SÜSS, fasst kurz und prägnant zusammen, was ihn sein Leben lang bewegte, was ihn quälte: unendliche Schuld und unendliche Scham. Für die Taten seines Vaters. Für die Shoah. Bis zu seinem Tod, am 16. Oktober 2010 in Berchtesgaden, hat Thomas Harlan immer aufs Neue versucht, verzweifelt, provokant, bisweilen aber auch bösartig, sich dieses "seines Erbes" zu entledigen, es analysierend abzustreifen, es von sich zu weisen. Dann aber, vom 31. Mai bis zum 4. Juni 2010, fünf Tage ununterbrochen diktierend, sein letzter Brief, ein Brief an den Vater: "Sage, Vater, sage nicht, es könne niemand die Verantwortung für die Taten eines Dritten übernehmen. Es kann. Sage, Vater, sage nicht, es könne niemand die Verantwortung für die Taten eines Dritten übernehmen, der selbst keine Verantwortung für seine Taten zu haben denkt. Es kann." Thomas Harlans "Veit" ist ein Vermächtnis. Nicht allein sein Leben betreffend. Unser aller. Harlan legt den Finger tief in die deutsche Wunde, es gibt längst kein Entkommen mehr: "Wenn Du Deine Verantwortung nicht trägst, gestehe ich sie mir ein, ich übernehme sie an Deiner statt, auch wenn Du nicht willst, wenn Du Dich sträubst. Vater, sträube Dich nicht." "Veit" ist ein Klagegesang, ein Lamento, "Veit" ist aber auch Mitgefühl: "Du hast jahrelang gelitten unter Gewichten, die zu schwer waren für einen Menschen allein. Du warst ein Mensch allein." Und zugleich das unermüdliche Pochen auf die Wahrheit, unbarmherzige Bilanz: "Verzeih, dass ich Dich vergessen hatte, dass ich Dir meine Treue entzog und meine Sohnesliebe, dass ich an Dir entlang ging, als seiest Du nur eine Landschaft, ein Abgrund, als hätte ich verhüten wollen, in ihn zu stürzen, in Dir umzukommen. Ich bin in Dir umgekommen." Wer Thomas Harlans verstörende Romane "Rosa" (2000) und "Heldenfriedhof" (2006) gelesen, wer seinen grandiosen Film WUNDKANAL (1984) und auch NOTRE NAZI (1984) gesehen hat, weiß, dass er sich auch selbst nicht geschont hat: "Ich habe verhütet, gerettet zu werden. Ich wurde nicht gerettet." So weit aber ist er noch nie gegangen: "Vater, Du Geliebter, Verstockter, höre doch! Ich habe Deinen Film gemacht. Ich habe einen schrecklichen Film gemacht. Ich habe JUD SÜSS gemacht. Ich habe das Scheusal Werner Krauss erfunden." Und am Ende: "Ich habe Dich geliebt. Lass mich Dein Sohn sein, Dein ältester, lass mich. Dein Sohn." Spät eingestanden, nachgetragen ist diese Liebe. Liebe als Hoffnung: denn sie allein verändert die Welt, zum Guten.
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