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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783868275186
Sprache: Deutsch
Umfang: 283 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 20.5 x 13.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
Francke-Buch GmbH
Stefan Jäger
info@francke-buch.de
Am Schwanhof 19
DE 35037 Marburg

Leseprobe

Kapitel eins Galveston, Texas April 1851 Nicole Renard umklammerte den Brief ihrer Mutter, während die Kutsche die Bath Street entlangrumpelte, weg von der Hafenanlage. Komm sofort, hatte ihre Mutter geschrieben. Dein Vater ist sehr krank. Er wird das Ende deines Schuljahres nicht mehr erleben. Nicole hatte sofort ihre Sachen gepackt und Miss Rochesters Akademie für junge Damen gleich am nächsten Morgen verlassen. Die Reise, die im letzten Herbst wie im Fluge vergangen war, hatte sich nun auf der Rückreise unendlich in die Länge gezogen. Ihr Magen war vor Angst und Sorge so verknotet gewesen, dass sie ihr Abteil kaum verlassen hatte. Als Kind war sie immer untröstlich gewesen und hatte geweint, wenn ihr Kapitänsvater sie unter Deck geschickt hatte, wo sie nicht die Gischt des Ozeans auf dem Gesicht gespürt und den salzigen Geruch der See in der Nase gehabt hatte. Die Luft und der Wind hätten sie nur an den kräftigen, vor Gesundheit strotzenden Mann erinnert, der ihr Vater einst gewesen war. Seine Krankheit hatte ihm all das geraubt. Guter Gott, flüsterte sie zum hundertsten Mal, seit sie Boston verlassen hatte. Nimm ihn mir nicht weg. Bitte. Stärke ihn. Heile ihn. Gib mir meinen Vater zurück. Ihre Hand zitterte, zerknitterte den Brief. Sie presste ihn gegen ihre Brust und blinzelte die Tränen zurück, die ihr unaufhörlich über die Wangen laufen wollten. Nicole biss sich auf die Zunge. Heute würde es keine Tränen geben. Ihr Vater hasste Tränen, sie seien ein Zeichen von Schwäche, Weiberkram. Ein Mann würde nicht weinen. Ein Mann würde versuchen, die Dinge zu regeln. Also würde sie genau das tun. Die Dinge regeln. Sie würde ihrer Mutter sagen, wie sie ihn zu pflegen hatte. Sie würde sich die Geschäftsdaten anschauen und jeden Tag im Renard Shipping Büro nach dem Rechten sehen und ihren Vater auf dem neusten Stand halten. Sie würde sich als der Sohn beweisen, den er sich immer gewünscht hatte. Als die Kutsche um eine Kurve fuhr, stützte sich Nicole ab, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Nur noch fünf Minuten, dann wäre sie zu Hause. Sie sah aus dem Fenster und nahm die bekannte Landschaft wahr, dabei machte ihr Herz bei der sumpfigen Umgebung einen Freudensprung. Dann sah sie es - Renard House. Die weißen Säulen standen stolz und aufrecht, genau wie sie sie in Erinnerung hatte. Ihr Blick wanderte zu dem Fenster im zweiten Stock, ihrem alten Kinderzimmer. Das Licht, das dort schien, zauberte ein Lächeln auf Nicoles Gesicht. Immer, wenn sie und Tommy Ackerman zu lange draußen im Sumpf geblieben waren, geangelt oder Pirat gespielt hatten, hatte ihre Mutter eine Lampe in ihr Fenster gestellt, um ihr den Weg nach Hause zu weisen, wenn es dunkel geworden war. Jetzt, Jahre später, als sich der Abend über die Insel senkte, lockte immer noch dieselbe Lampe. Als der Fahrer die Kutsche anhielt, wartete Nicole nicht, bis er ihr beim Aussteigen half. Sie öffnete die Tür und sprang nach draußen, raffte ihre Röcke, um sicherzugehen, dass sie nicht stolperte. Ihr Herz hämmerte in einer Mischung aus Freude und Schmerz, als sie auf ihr Heim zulief. Bevor sie die Veranda erreichte, hatte ihre Mutter die Tür schon geöffnet und ihre Arme weit ausgebreitet. Maman! Nicole rannte die Stufen hinauf und warf sich ihrer Mutter in die Arme. Im Bruchteil einer Sekunde waren all ihre Sorgen wie weggeblasen. Sie war zu Hause. Ihre Maman hielt sie. Alles würde gut werden. Zusammen schwankten sie nach rechts und links und ihre Mutter summte, wie sie es schon getan hatte, als Nicole noch klein genug gewesen war, um auf ihren Schoß zu krabbeln. Es ist schön, dich wieder hier zu haben, ma petite. Ihre Mutter trat einen Schritt zurück, nahm Nicole bei den Händen und musterte ihr Gesicht, als befürchte sie, sie habe vergessen, wie ihre Tochter aussah. Aber warum stürmst du so auf mich zu? Ein Funkeln erhellte ihre wunderschönen braunen Augen, als sie eine Braue hob. Dein Vater und ich haben viel Geld für das Mädchenpensionat bezahlt und du bist immer noch so ungestüm wie eh und je. Wirklich, Nicole, John war völlig perplex, als du die Tür der Kutsche aufgestoßen hast, ohne auf ihn zu warten. Der arme Kerl wollte dich wahrscheinlich mit einer überschwänglichen Geste willkommen heißen und du hast ihm seinen Spaß verdorben. Nicole folgte dem Blick ihrer Mutter zu dem Kutscher, der ein paar Meter von ihnen entfernt stand und ihren Überseekoffer auf der Schulter balancierte. Der Gesichtsausdruck des Mannes war so ausdruckslos und gelangweilt wie immer. John hatte mit Spaß nichts am Hut. Nicht, dass Nicole es über die Jahre hinweg nicht immer wieder versucht hätte. Für sie war es ein Spiel gewesen, das sie seit ihrer Kindheit gespielt hatte. Immer wieder hatte sie versucht, dem alten Miesepeter ein Lächeln zu entlocken. Noch war es ihr nicht gelungen, doch sie war sich sicher, dass es eines Tages so weit kommen würde. Der Mann war bisher eben nur ein zu gewiefter Gegner gewesen. Nicole versuchte zerknirscht auszusehen und nickte. Ich entschuldige mich dafür, Ihnen den Spaß verdorben zu haben, John. Was wäre denn diese überschwängliche Geste gewesen, mit der Sie mich begrüßen wollten? Der Kutscher ging ohne ein Wort auf sie zu, als wollte er ihren Koffer ins Haus bringen, blieb dann aber doch bei ihr stehen. Es hätten einen Rosenteppich gegeben, einen Trompetentusch und tanzende Pferde, Miss. Seine leidenschaftslose Stimme rezitierte die abstruse Liste, als würde er Lebensmittel im Kaufmannsladen bestellen. Nicole gluckste leise. Tanzende Pferde? Der gelangweilte Gesichtsausdruck des Mannes geriet nicht im Geringsten ins Wanken. Habe die Tiere seit Wochen trainiert. Und jetzt war alles umsonst. Traurig schüttelte er den Kopf und setzte seinen Weg fort. Nicole sah den ungläubigen Blick ihrer Mutter und die beiden brachen in Gelächter aus. Ihre Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte. Ach, es fühlt sich gut an, zu lachen. In letzter Zeit gab es dafür leider nicht allzu viele Gelegenheiten. Nicoles Ausgelassenheit verflog mit einem Schlag. Wie geht es Vater? Gab es irgendeine Besserung seit dem letzten Brief? Ihre Mutter legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie nach drinnen. Die Ärzte machen uns kaum Hoffnungen auf Besserung. Sie haben eine Geschwulst in seinem Magen gefunden. Nicole ergriff die Hände ihrer Mutter, als diese die Haustür geschlossen hatte. Was bedeutet das? Das wissen wir nicht. Er hat bisher - Gott sei Dank - keine Schmerzen. Aber er isst kaum, hat keine Energie und schwindet einfach dahin. Sie seufzte. Und zum ersten Mal bemerkte Nicole die Linien der Erschöpfung auf der sonst so makellosen Haut ihrer Mutter. Der Arzt möchte nicht operieren. Er sagt, es wäre zu gefährlich. Aber wenn der Tumor weiter wächst, könnte es deinem Vater bald noch schlechter gehen und er wird sterben. Nicole verstärkte ihren Griff um die Hände ihrer Mutter. Aber es besteht die Möglichkeit, dass er nicht wächst. Richtig? Ihre Mutter umfasste Nicoles Wange und schenkte ihr ein trauriges Lächeln. Ja, die Möglichkeit besteht, ma petite. Wir werden weiter beten und hoffen, dass Gott uns die Antwort gibt, die wir uns wünschen. Aber wir müssen auch darauf vorbereitet sein, dass wir voneinander Abschied nehmen müssen. Deinem Vater zuliebe, aber auch uns selbst. Dein Vater ist dickköpfig genug und weigert sich zu sterben, wenn er glaubt, dass es seinem kleinen Mädchen ohne ihn nicht gut gehen wird. Und ich möchte nicht, dass er unnötig leidet. Ein grimmiges Licht funkelte in ihren Augen. Ihre Maman konnte genauso dickköpfig sein wie ihr Vater. Wir werden ihn lieben, wir werden ihn pflegen und wir werden ihm den Frieden geben, dass er gehen kann, wenn Gott ihn zu sich ruft. Sind wir uns da einig? In ihrem Herzen tobten die verschiedenen Gefühle. Das Kind in ihr wollte sich natürlich an seinen Papa klammern, ihn festhalten und niemals gehen lassen. Doch die Frau in ihr erkannte die Weisheit in den Worten ihrer Mutter, die Liebe, die dieses Opfer...

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