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Wer Wem Wen

Eine Sommerbeichte

Erschienen am 12.02.2008
14,95 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783821858098
Sprache: Deutsch
Umfang: 184 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 19 x 12.6 cm
Einband: gebundenes Buch

Leseprobe

AUSZEIT Draußen herrscht gerade ein besonders heftiger Stadtsommer. Auf den Bürgersteigen laufen sich die Passanten die Gesichter rot und die T-Shirts fleckig. Auf den Balkonen wuchern Kübelpflanzen, die im Frühjahr – noch dürr und nackig – aus den Gartencentern in die Häuser getragen wurden, und jetzt sitzen sich ihre Besitzer gegenüber in dem grünen Rahmen, der etwas Mediterranes hat. Wahlweise auch etwas Klaustrophobes. Je nach Beschaffenheit des darin sitzenden Pärchens. Wer keinen Balkon hat, lungert in Park oder Straßencafé. Ich habe weder Balkon, Park noch Straßencafé. Ich sitze in einem Zimmer und kann nur die hellen Lichtstreifen an der Decke zählen. Ich kann nicht raus, ich habe Wichtigeres zu tun, denn ich muss eine Beichte ablegen. Eines vorab: Trotz aller Beichtwilligkeit bin ich nicht gläubig. Als Kind war ich gläubig, später Humanist, aber auch das ist mir unterwegs abhanden gekommen. Ich tue manchmal zwar noch so, als wäre ich ein Fulltime-Humanist, aber dennoch bin ich weit davon entfernt, jeden Morgen gleich nach einem vitalen Aufreißen der Augen aus dem Bett springen zu müssen, beseelt von dem Gefühl, vor brennender Lebenslust und Menschenliebe nicht länger einhalten zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Manchmal wage ich gar nicht – obwohl bereits wach –, die Augen zu öffnen. Für solche Momente gibt es Tabletten; dann kann ich wenigstens noch bis Mittag schlafen. Der Schlaf ist die letzte Religion, die mir geblieben ist. Beichten dagegen ist ein Hobby, das mir vor Eintritt des Schlafes die nötige Gewissenserleichterung verschaffen soll. Nach dem Motto: Wer jetzt noch mal muss, tut es bitte gleich! Dann also: Beichte ab. DER ERSTE TAG Im Winter vergangenen Jahres reiste ich in die Berge. Ich wollte nicht, aber Cromwell befahl es mir. Seine Begründung: Ich sei besonders in diesem zähen Winter so ein Ausbund an Blässe und Bettgenässe, dass ich mich einer Reise an Licht und Luft nicht verschließen könne. Zumal mich das Ganze gar nichts kosten würde, es handle sich nämlich um eine Einladung in ein Landhaus. Und Cromwell persönlich würde mich hinfahren. Dann folgte der Haken der Geschichte: Cromwell würde seine neue Freundin (Alexandra) mitnehmen. Besser gesagt: Das Haus gehöre der Familie von Alexandras Cousine. Besagte Cousine (Susanne) würde auch zugegen sein sowie deren Gatte (Wido). Dies Durcheinander aus Namen, Familien- und Besitzverhältnissen betäubte mich, machte mich nahezu willenlos, und Cromwell hatte leichtes Spiel: An einem matschigen Tag, als das Licht bereits um acht Uhr morgens von abendlicher Konsistenz war, klingelte er so lange an meiner Tür, bis ich widerwillig öffnete. Cromwell packte meine Tasche, schob mich aus dem Haus und auf den Rücksitz seines Autos. Auf dem Vordersitz saß schon jemand: Alexandra, die Neue. Wenn Cromwell sagt, er habe etwas Neues, wünsche ich ihm von ganzem Herzen eine Mordsperson. Einen Menschen, der eines Cromwell würdig wäre, eine Person von atemberaubender Schönheit, brachialem Humor und verwegener Lebensphilosophie; jeder Satz ein Bonmot und jede Bewegung ganz, ganz großes Bolschoi. Die real existierende Alexandra war – wie alle Alexandras und Gabis vor ihr – etwa das Gegenteil davon. Eine sehr jung wirkende, sehr schlanke Person, die ihren Körper in allerlei schicken Boutiquenkram gesteckt hatte; eine enge Hose mit etwas Schlag, darüber einige bunt zusammengewürfelte, knapp sitzende Leibchen und Jäckchen, an deren Säumen und Bündchen sie ununterbrochen herumzupfte und herumzog, als wollte sie aus ihrer Pelle. Die Augen in Alexandras schmalem Gesicht waren etwas zu klein, und so, wie sie an ihrer Kleidung herumzerrte, um sie zu weiten, so riß sie ständig in Vergrößerungsabsicht die Augen auf. Als Cromwell mich auf den Rücksitz geschoben hatte, drehte sich Alexandra um und musterte mich. Mit derart flackernden und aufgerissenen Augen, daß ich auf ihrer Netzhaut noch die Abdrücke der vorangegangenen Szene erkennen konnte: »Aber ich wäre viel lieber alleine mit DIR!« Trotzdem lächelte sie; anscheinend wollte sie es sich nicht schon während der ersten zwei Wochen mit Cromwell verscherzen und nahm dafür auch seinen Freund in Kauf. Außerdem neigen Frischverliebte zu Großzügigkeit. Als fünftes Rad hat man es leicht. Man muss weder agieren noch Position beziehen; man reagiert bloß und geht konform. Erwartet wird nichts, außer einem zustimmenden Gesichtsausdruck, der je nach Lage begeistert, betroffen oder bestürzt sein sollte. Man reflektiert das Gemüt des Gegenübers, und das Leben als Reflektor ist bequem. Das nenne ich auch »situatives Grimassieren« und beherrsche es inzwischen sehr gut. Also lächelte ich begeistert zurück, und wir fuhren los in das suppige Licht eines pampigen Tages.