Beschreibung
Eine englische Familie macht Ferien in einem Sommerhaus in Norfolk. Der Vater Michael, ein Literaturprofessor, trifft sich wie gewohnt mit Studentinnen. Die Mutter Eve, eine erfolreiche Autorin, versucht, ihre Schreibblockade zu überwinden. Die Kinder Magnus und Astrid leben in ihrer eigenen abgeschotteten Welt. Bis plötzlich Amber auftaucht, eine geheimnisvolle, charismatische Fremde, und das Leben dieser ganz normalen neurotischen Familie gehörig durcheinanderbringt. Eine englische Familie macht Ferien in einem Sommerhaus in Norfolk, wie immer. Der Vater Michael, ein Literaturprofessor, trifft sich ab und zu in der Stadt mit Studentinnen. Die Mutter Eve, eine erfolreiche Autorin, versucht, ihre Schreibblockade zu überwinden. Der 17-jährige Magnus verkriecht sich, weil er glaubt, am Selbstmord einer Mitschülerin schuld zu sein. Die 12-jährige Astrid beschäftigt sich mit ihren Gedanken und sieht sich das Leben durch ihre Digicam an. Alles ganz normal also - bis plötzlich Amber auftaucht, barfuß, geheimnisvoll, charismatisch. Keiner kennt sie, aber jeder denkt, sie sei eine Freundin der anderen. Man fragt nicht nach, man ist ja so cool. Und Amber, die eigentlich Alhambra heißt, nach dem Kino in einem fernen Land, in dem sie gezeugt wurde, lügt sich ihren Weg in die Familie hinein. Sie ist exotisch, ungewöhnlich, unübersehbar. Sie wirft Astrids Digicam weg, verführt Magnus, sagt Michael die Meinung und küsst Eve auf den Mund. Sie bringt das feste Gefüge der aneinander vorbeilebenden durchschnittsneurotischen Familie ins Wanken, und als sie wieder verschwindet, ist jeder der Vier ein anderer geworden. Witz, Alltag, Zufall, Wahrheit, das Leben im 21. Jahrhundert, Allegorien und Mathematik - diese Autorin zieht alle Register, und ihre sprühende Phantasie wie ihre Sprachmagie sind einzigartig. Ausgezeichnet mit dem Whitbread Award 2005 für den besten Roman.
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Leseprobe
Meinen Anfang machte meine Mutter eines Abends 1968 an einem Tisch in dem Café des einzigen Kinos der Stadt. Ein paar Stufen weiter oben, hinter dem fadenscheinigen roten Samt des Logenvorhangs, gähnte die Platzanweiserin, ließ ihre ausgeschaltete Taschenlampe locker baumeln, beugte sich, auf die Ellbogen gestützt, über das Geraschel und Geknutsche in der hinteren Reihe, pulte an dem Holz der Trennwand und schnipste kleine Splitter davon auf die im Dunkeln sitzenden Kleinstadtköpfe. Der Film auf der Leinwand vor ihnen war Geküßt und geschlagen mit Terence Stamp, einem Schauspieler von solcher Numinosität, daß meine Mutter - jung, schick, schlank und anmaßend -, die den Film in der Woche schon zum dritten Mal gesehen hatte, aufstand, woraufhin der Sitz hinter ihr mit dumpfem Laut hochklappte, sich an den Beinen der Leute in ihrer Reihe vorbeizwängte, durch den schmuddeligen Gang dem Ausgang zustrebte und durch den Vorhang ins Licht hinaustrat. Das Café war bis auf den Knaben, der Stühle auf die Tische stellte, leer. Wir schließen, sagte er zu ihr. Meine Mutter, noch blinzelnd nach dem Dunkel, bahnte sich einen Weg durch die abgewetzten roten Stühle. Sie nahm ihm den Stuhl, den er gerade hielt, aus der Hand, und legte ihn, immer noch verkehrt herum, auf den Boden. Stieg aus ihren Schuhen. Knöpfte ihren Mantel auf. Hinter der Kasse drehten die umspülten Orangen in dem Orangensaftbereiter ihre Kreise, und der Bodensatz am Grunde des Tanks stieg hoch und ging wieder nieder, stieg hoch und ging nieder. Die Stühle auf den Tischen reckten ihre Beine in die Luft, die über den Teppich verstreuten Kuchenkrümel warteten passiv auf die Staubsaugerdüse. An der großen, zur Straße hinausführenden Haupttreppe, die meine Mutter in ein paar Minuten hinabstieg, die Nylonstrümpfe zu einem warmen Knäuel zusammengerollt in der Manteltasche, die Schuhe an den Fesselriemchen in der Hand schwenkend, lächelten in dem grellen, die Treppe ins Dunkel tauchenden Licht Julie Andrews und Christopher Plummer aus ihren Rahmen heraus, nicht anders, als sie es, verblichen in ihrem Glanz und schon seit einem Jahrzehnt aus der Mode, fünf Jahre später immer noch taten, als der junge Vorführer (aus einem Job gedrängt, den er sicher zu haben glaubte; das Management hatte einen neuen Vorführer aus der Stadt eingestellt, nachdem der alte gestorben war) das Gebäude mit einer Dose Kreosot und dem Zigarettenstummel, den er auf den Boden warf, in Brand steckte. Die teuren Balkonplätze, auf denen das Rauchen verboten war? In Rauch aufgegangen. Die durchgesessenen, nach Leder riechenden Plätze im Sperrsitz? Für immer dahin. Die Samtvorhänge, der Kandelaber aus Glas, rund wie eine Schüssel? Verwehte Asche, ein Gefunkel aus winzigen zerbrochenen Scherben auf dem Boden lokaler Geschichte. Die Zeitungen tags darauf waren eisern: ein Unfall. Der Mann, dem das Kino gehörte, ließ sich von der Versicherung den Schaden erstatten und verkaufte den zerstörten Bau an einen Mitnahme-Markt mit dem eher phantasielosen Namen Mackay's Mitnahme-Markt. In jener Nacht im Jahre 1968 aber dröhnten in dem fast geschlossenen Café die Stimmen hinter den Wänden noch von moderner Liebe. Die Musik erhob sich noch von irgendwoher. Kurz vor der Szene, als das Gesindel Terence Stamp kriegt und ihn dahin schafft, wohin er gehört, hatte sie ihre Beine hinter seinem Rücken verschlungen, und mein Vater hatte sich überrascht stöhnend in sie geschoben und sie mit buchstäblich einer Million Möglichkeiten beschenkt, von denen sie sich nur für eine entschied. Hallo. Ich bin Alhambra, benannt nach dem Ort meiner Empfängnis. Glauben Sie mir. Alles ist so gewollt. Von seiten meiner Mutter: ein Anschlag auf die Anständigkeit; der Einsatz des Geheimnisvollen; wie kriege ich das, was ich will. Von seiten meines Vaters: wie setze ich mich ab, wie stelle ich es an, daß ich gar nicht existiere. Der Anfang von etwas wann genau ist das? Astrid Smart möchte es wissen. (Astrid Smart. Astrid Berenski.