Beschreibung
Viele bekannte populärwissenschaftliche Bestseller behaupten auf der Basis neurowissenschaftlicher Untersuchungen: Männer und Frauen haben unterschiedliche Gehirne und daher unterschiedliche Begabungen. Vermeintliche natürliche Unterschiede werden aufgebaut und dienen als Erklärung für gesellschaftliche Rollenstereotype. Cordelia Fine entlarvt, wie unter dem Deckmantel der Wissenschaft schlampige Untersuchungen, oberflächlich gedeutete Forschung und vage Beweise zu angeblichen Tatsachen gemacht wurden. Sie zeigt, wie unser Leben als Mann und Frau stark von geschlechtertypischen Erwartungen und Vorurteilen beeinflusst wird, selbst wenn wir sie nicht gut heißen. Und welch subtile Macht Stereotype ausüben können. Das Einzige, was wissenschaftlich bewiesen ist: Es gibt eine neuronale Plastizität. Unser Gehirn entwickelt sich vor allem durch psychologische Einflüsse, Erfahrungen und Tätigkeiten. Und für Männer und Frauen gilt: Alles ist möglich!
Autorenportrait
Cordelia Fine, geboren 1975, ist die Tochter der Schriftstellerin Anne Fine. Sie studierte Psychologie und Neurowissenschaften in London und Toronto und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Melbourne. Sie unterrichtet am Centre for Ethical Leadership an der Melbourne Business School und ist seit 2012 auch als Forscherin und Fellow am Department of Psychological Sciences an der Universität von Melbourne tätig.
Leseprobe
Von allen Hindernissen, die sich dem Fortschritt des Denkens und der Ausbildung wohlbegründeter Ansichten über das Leben und die sozialen Ordnungen in den Weg stellen, ist in unserer Zeit das größte und beklagenswerteste die unsägliche Unwissenheit der Menschen über und ihre Unaufmerksamkeit auf die Einflüsse, welche den menschlichen Charakter bilden. Man hält alles, was einzelne Individuen oder ganze Klassen gegenwärtig sind oder zu sein scheinen, für ein Produkt ihrer natürlichen Anlagen - während man doch, sobald man sich nur einigermaßen über die Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln, unterrichten würde, sehr genau die wahren Ursachen erkennen würde, welche sie so und nicht anders werden ließen. John Stuart Mill, Die Unterwerfung der Frauen (1869) Vorwort Ich darf Ihnen Evan vorstellen. Wenn Jane, seine Frau, verstimmt ist, setzt er sich neben sie auf die Couch und liest eine Zeitung oder ein Buch, 'um sich von seinen eigenen unguten Gefühlen abzulenken', wobei er zerstreut einen Arm um Janes Schultern legt. Nachdem er einige Jahre an diesem Problem gearbeitet hat, sieht er sich allmählich zunehmend in der Lage, ihr auf etwas herkömmlichere Art seine Anteilnahme zu vermitteln. Die politisch Korrekten und/oder wissenschaftlich Uninformierten unter meinen Lesern fragen sich jetzt wahrscheinlich, warum Evan sich so sonderbar verhält. Liegt es daran, dass er Jane nicht wirklich liebt? Erholt er sich nur langsam von einem Zwischenfall, der ihn zutiefst traumatisiert hat? Wurde er bis zum Alter von 13 Jahren von Wölfen aufgezogen? Alles falsch - Evan ist einfach nur ein ganz normaler Mann mit einem ganz normalen Männergehirn, das in Sachen Empathie eben komplett ungünstig verdrahtet ist. Dass ein simpler Tröstungsakt in Evans Verhaltensrepertoire nicht vorkommt, liegt an den Neuronen, mit denen die Natur ihn ausgestattet hat: Neuronen, die eine verheerende 'Testosteronmarinierung' über sich ergehen lassen mussten; Neuronen, denen die 'angeborene Fähigkeit, aus einem Gesichtsausdruck oder einem Tonfall emotionale Nuancen herauslesen zu können', abgeht, wie sie die Neuronen von Frauen beherrschen; kurz: männlichen Neuronen. Evan ist eine von mehreren ulkigen Figuren, die Louann Brizendines Bestseller Das weibliche Gehirn bevölkern. In ihrer Darstellung ähnelt die Einfühlungskompetenz von Männern einem ungeschickten Touristen, der außerstande ist, an seinem Ferienort eine Speisekarte zu entziffern, und sie steht in schroffem Gegensatz zu der coolen Professionalität, die Frauen auf diesem Gebiet mitbringen. Nehmen Sie als Beispiel nur etwa Sarah. Sie kann 'erkennen, was [ihr Mann] empfindet, und zwar häufig schon bevor es ihm selbst bewusst ist'. Wie eine Hellseherin, die weiß, dass Sie die Karo-Sieben ziehen werden, noch bevor Sie sie auch nur einen Millimeter aus dem Stapel herausbewegt haben, kann Sarah ihren Mann mit ihrer speziellen Fertigkeit verblüffen, noch bevor er sich selbst darüber im Klaren ist, zu wissen, was er fühlt. (Und TUSCH! Das ist doch genau dein Gefühl!) Dabei ist Sarah keine Hellseherin vom Rummelplatz. Sie ist einfach nur eine Frau und als solche offenbar mit der außerordentlichen Gabe ausgestattet, Gedanken zu lesen - eine Gabe, die allen Inhabern eines weiblichen Gehirns eignet: Mit seinen Manövern, die einem Kampfflugzeug alle Ehre machen würden, ist Sarahs weibliches Gehirn eine Hochleistungs-Gefühlsmaschine. Es ist dafür konstruiert, in jedem Augenblick die nicht sprachlichen Signale für die tiefsten Gefühle anderer zu verfolgen. Und was befähigt das weibliche Gehirn auf so bemerkenswerte Weise, sich auf die Fährte der Gefühle anderer Leute zu setzen, als handele es sich um in die Enge zu treibende Beutetiere? Warum, so fragen Sie sich bestimmt, haben männ liche Neuronen derartige magische Fähigkeiten nicht, warum sind sie stattdessen eher in den Männerdomänen Naturwissenschaft und Mathematik zu Hause? Die Antwort variiert je nach aktueller Erkenntnislage - es kann an der Testoste Leseprobe
Schlagzeile
Männer und Frauen ticken gar nicht so unterschiedlich. Cordelia Fine entlarvt hartnäckige Geschlechterlügen.