Beschreibung
Sommer, Sonne, Strand - das an der azurblauen Adriaküste gelegene Grand Hotel verspricht wunderbare Ferien für die ganze Familie. Doch Henry Wunderlich hat keine Lust auf Urlaub. Noch weniger, als seine Frau einem Abenteuer namens Alessandro verfällt und seine Töchter sich auf dem Rücksitz einer Vespa davonmachen. Bei all dem Trubel ist Henry froh, dass er einen neuen Freund findet: Den Italiener in sich. Dessen Lektionen in Sachen 'dolce vita' stürzen ihn in ein ganz neues Lebensgefühl.
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Autorenportrait
Johannes Thiele, geboren 1954, studierte Germanistik, Theologie, Philosophie und Geschichte und ist heute als freier Schriftsteller und Herausgeber erfolgreicher Anthologien und Verleger in München und Wien tätig. Zuletzt erschienen von ihm »Das Buch der Deutschen«, »Die sieben Weltwunder« und »Die großen deutschen Dichter und Schriftsteller«.
Leseprobe
PROLOG War ich im Himmel? Gleißende Helligkeit umfing mich. Als der Strahl mich erfasste und auf meine Augenlider traf, lag ich gekrümmt auf dem Laken. Ich rieb mir die Augen, doch es war unmöglich, sie zu öffnen. Erst nach einer Weile, als ich sie mit der Hand beschattete, wagte ich zu blinzeln. Es war nicht der Himmel. Es war unser Zimmer im Grand Hotel Marina di Languore, Italien. Die Sonne. Das Erste am Morgen war die Sonne, die nach dem Aufgang über dem Meer ihre Strahlen direkt durch die nach Osten gelegenen Fenster unseres Zimmers schickte. Mit einer unglaublichen Kraft eroberte sie Zentimeter für Zentimeter meiner Bettdecke, die ich geblendet hochzog, um vor ihr Schutz zu finden. Sie gewann an Strahlkraft und Helligkeit, bis sie endlich über meine Augenlider hinweggezogen war. Noch im Halbschlaf eroberte die Sonne mein Leben. So war es am allerersten Morgen, und so würde es auch die nächsten einundzwanzig Tage sein. Spätestens jetzt war an Schlaf nicht mehr zu denken. Es war früh. Verdammt früh. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Leonie war von der Sonne noch vor mir wachgeküsst worden und hatte erwartungsgemäß ganz anders reagiert als ich, der ich mir mürrisch die Decke über das Gesicht zog. Sie hatte die Türen weit geöffnet und stand auf dem winzigen Balkon wie eine Morgengöttin, in einem dünnen Nachthemd, durch das die Sonne fiel und jede Kontur ihres Körpers sichtbar machte. 'Ist das nicht herrlich?', fragte sie, als sie sich umdrehte und bemerkte, dass ich aufgewacht war, obwohl ich mir größte Mühe gab, so zu tun, als ob ich noch schliefe. 'Ja, es ist wunderbar. Aber könntest du vielleicht den dunklen Vorhang ein bisschen vorziehen?' 'Warum denn?' 'Die Sonne brennt mir direkt ins Gesicht.' 'Aber ist das nicht herrlich?', wiederholte sie, und ob ihre Fassungslosigkeit angesichts meines sonnenverweigernden Ansinnens gespielt war oder nicht, vermochte ich nicht zu sagen. 'Deswegen sind wir doch hier, oder nicht?' Ja, deswegen waren wir hier. Unter anderem. Jeder hat ja so seine Erwartungen, die er erfüllt, wenn nicht übertroffen sehen möchte. Meine war es allerdings nicht, mir schon vor sieben Uhr einen Sonnenbrand zu holen. Ich weiß schon, dass das erwiesenermaßen gar nicht möglich ist - aber jeder hat auch so seine Befürchtungen. Alle völlig irreal, natürlich. Ganz real aber war dies der erste Morgen unserer dreiwöchigen Ferien an der Adria. Er begann mit dem, was in Italien so zuverlässig funktioniert wie anderswo der Regen oder der Wind: Sonne pur. Sonne grell. Sonne heiß. Sonne überall. 'Italien wird dir gut tun', hatte sie mir versprochen. Leonie ist eine unerschütterliche Optimistin, und im Laufe der langen Jahre meines Zusammenlebens mit ihr hatte ich mir angewöhnt, ihr alles zu glauben. Mit einem winzigen Restzweifel, versteht sich, aber ich hütete mich wohlweislich, auch nur einen Zipfel davon spürbar werden zu lassen. 'Henry Wunderlich', sagte ich stumm zu mir, 'steh auf und stelle dich an die Seite deiner sonnenhungrigen Frau. Du hast versprochen, sie glücklich zu machen. Also halte dein Versprechen!'