Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Piper Verlag GmbH
Mark Oliver Stehr
info@piper.de
Georgenstraße 4
DE 80799 München
Autorenportrait
Der SPIEGEL nannte ihn einen »großartigen Erzähler«, die NEW YORK TIMES einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der INDEPENDENT verglich ihn mit Kafka und Kleist, der DAILY TELEGRAPH schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Ferdinand von Schirachs Erzählungsbände »Verbrechen« und »Schuld« und seine Romane »Der Fall Collini« und »Tabu« wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern, die bisher in mehr als 40 Ländern erschienen sind. Sein erstes Theaterstück »Terror« wurde parallel am Deutschen Theater Berlin und am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt. Schirach wurde mit mehreren - auch internationalen - Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Seinen Erfolg erklärt die französische LIBÉRATION so: »Schirachs Meisterleistung ist, uns zu zeigen, dass - egal wie monströs dessen Taten zunächst scheinen mögen - ein Mensch doch immer ein Mensch ist.« Ferdinand von Schirach lebt in Berlin.
Leseprobe
Volksfest Der erste August war selbst für diese Jahreszeit zu heiß. Die Kleinstadt feierte ihr sechshundertjähriges Bestehen, es roch nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte, und der Bratdunst von fettigem Fleisch setzte sich in den Haaren fest. Es gab alle Stände, die es immer auf Jahrmärkten gibt: Es war ein Karussell aufgestellt worden, man konnte Autoscooter fahren und mit Luftgewehren schießen. Die Älteren sprachen von 'Kaiserwetter ' und 'Hundstagen', sie trugen helle Hosen und offene Hemden. Es waren ordentliche Männer mit ordentlichen Berufen: Versicherungsvertreter, Autohausbesitzer, Handwerker. Es gab nichts an ihnen auszusetzen. setzen. Fast alle waren verheiratet, sie hatten Kinder, bezahlten ihre Steuern und Kredite und sahen abends die Tagesschau. Es waren ganz normale Männer, und niemand hätte geglaubt, dass so etwas passieren würde. Sie spielten in einer Blaskapelle. Nichts Aufregendes, keine großen Sachen, Weinkönigin, Schützenverein, Feuerwehr. Einmal waren sie beim Bundespräsidenten gewesen, sie hatten im Garten gespielt, danach hatte es kaltes Bier und Würstchen gegeben. Das Foto hing jetzt im Vereinshaus, das Staatsoberhaupt selbst war nicht zu sehen, aber jemand hatte den Zeitungsartikel danebengeklebt, der alles bewies. Sie saßen auf der Bühne mit ihren Perücken und angeklebten Bärten. Ihre Frauen hatten sie mit weißem Puder und Rouge geschminkt. Es sollte heute würdevoll aussehen, 'zur Ehre der Stadt', hatte der Bürgermeister gesagt. Aber es sah nicht würdevoll aus. Sie schwitzten vor dem schwarzen Vorhang und hatten zu viel getrunken. Die Hemden klebten ihnen am Körper, es roch nach Schweiß und Alkohol, leere Gläser standen zwischen ihren Füßen. Sie spielten trotzdem. Und wenn sie falsch spielten, machte das nichts, weil das Publikum auch zu viel getrunken hatte. Zwischen den Stücken gab es Applaus und frisches Bier. Wenn sie Pause machten, legte ein Radiomoderator Platten auf. Die Holzbretter vor der Bühne staubten, weil die Menschen trotz der Hitze tanzten. Die Musiker gingen dann hinter den Vorhang, um zu trinken. Das Mädchen war siebzehn und musste sich noch zu Hause abmelden, wenn sie bei ihrem Freund übernachten wollte. In einem Jahr Abitur, dann Medizin in Berlin oder München, sie freute sich darauf. Sie war hübsch, ein offenes Gesicht mit blauen Augen, man sah sie gerne an, und sie lachte, während sie kellnerte. Das Trinkgeld war gut, in den großen Ferien wollte sie mit ihrem Freund durch Europa fahren. Es war so heiß, dass sie nur ein weißes T-Shirt zur Jeans trug und eine Sonnenbrille und ein grünes Band, das ihre Haare zurückhielt. Einer der Musiker kam vor den Vorhang, er winkte ihr zu und zeigte auf das Glas in seiner Hand. Sie ging über die Tanzfläche und stieg die vier Stufen zur Bühne hoch, sie balancierte das Tablett, das eigentlich zu schwer für ihre schmalen Hände war. Sie fand, dass der Mann lustig aussah mit seiner Perücke und seinen weißen Wangen. Dass er gelächelt hatte, daran erinnerte sie sich, dass er gelächelt hatte und dass seine Zähne gelb schienen, weil sein Gesicht weiß war. Er schob den Vorhang zur Seite und ließ sie zu den anderen Männern, die auf zwei Bierbänken saßen und Durst hatten. Für einen Moment leuchtete ihr weißes TShirt eigenartig hell in der Sonne, ihr Freund hatte es immer gemocht, wenn sie es trug. Dann glitt sie aus. Sie fiel nach hinten, es tat nicht weh, aber das Bier ergoss sich über sie. Das TShirt wurde durchsichtig, sie trug keinen BH. Weil es ihr peinlich war, lachte sie, und dann sah sie die Männern an, die plötzlich stumm wurden und sie anstarrten. Der Erste streckte die Hand nach ihr aus, und alles begann. Der Vorhang war wieder geschlossen, die Lautsprecher brüllten einen MichaelJacksonSong, und der Rhythmus auf der Tanzfläche wurde zum Rhythmus der Männer, und später würde niemand etwas erklären können. Die Polizei kam zu spät. Sie glaubten dem Mann nich