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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783453404748
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S.
Format (T/L/B): 2.3 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Felix genießt sein Leben als stiller Teilhaber einer Bar - bis er eines Tages an einer Straßenecke einem Mann gegenübersteht, von dem er instinktiv weiß, dass es sein tot geglaubter, unbekannter Vater ist. Mit großer Lakonie erweist sich Frank Goosen in "Pink Moon" als brillanter Erzähler männlicher Abgründe.

Autorenportrait

Frank Goosen, geboren 1966 in Bochum, hat sich Ruhm und Ehre als eine Hälfte des Kabarett-Duos Tresenlesen erworben. Sein Durchbruch war der Roman Liegen lernen, der lange auf den Bestsellerlisten stand und auch erfolgreich verfilmt wurde. 2003 erhielt Frank Goosen den Literaturpreis Ruhrgebiet. Mit seinen Kabarettprogrammen tourt er regelmäßig durch Deutschland. Mit dem Ruhrpott-Geschichtenband Radio Heimat gelang Frank Goosen der Sprung in die Top-10 der Bestsellerlisten.

Leseprobe

Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod. Ich erkannte ihn gleich wieder, auch wenn er mehr als dreißig Jahre älter war als auf dem einzigen Foto, das meine Mutter von ihm aufbewahrt hatte: ein gutaussehender, glatt rasierter Mittzwanziger mit Fassonschnitt in einer Prager Seitenstraße, während hinter ihm der Frühling durch die Straßen floh. Auch jetzt noch sah er gut aus mit seinem kurzen, grauen Haar, der hellen Hose, dem dunklen Jackett und dem gestreiften Hemd, an dem die obersten drei Knöpfe offen standen. Seine Brust war glatt und unbehaart, die Haut hatte den attraktiven Teint natürlicher Bräune, und seine Augen waren von jenem klaren Blau, das meine Mutter um den Verstand gebracht hatte. Sie hat mir nicht viel über ihn erzählt, aber wenn sie es doch tat, endete sie so: 'Seine blauen Augen haben mich um den Verstand gebracht. Er war ein Held und toller Tänzer!' Keiner von den Vätern, die sie zwischendurch an mir ausprobierte, erfüllte diese Kriterien. Mein Vater stand an einer Straßenecke und stritt sich mit einer Frau. Ich drückte mich in einen Hauseingang und sah zu den beiden hinüber. Die Frau rauchte und kaute an den Fingernägeln. Mein Vater redete auf sie ein und machte beruhigende Handbewegungen: so, als wolle er etwas zu Boden drücken. Die Frau schüttelte den Kopf. Bestimmt eine Viertelstunde betrachtete ich die beiden und fragte mich, wie lange sie da schon standen. Als die Frau sich mit dem Handballen durch die Augen fuhr, wusste ich, dass sie weinte. Mein Vater berührte sie an der Schulter, aber sie schüttelte ihn ab. Er machte einen Schritt zur Seite und wollte an ihr vorbeigehen, sie stellte sich ihm in den Weg. Das ging ein paar Mal hin und her. Dann sagte mein Vater etwas und ließ sie stehen. Er kam auf mich zu. Ohne nachzudenken, drückte ich auf die zweite Klingel von oben. Der Summer ertönte, und ich trat in den Hausflur. Durch die Rauglasscheibe sah ich einen Schatten vorbeigehen. Ich zählte bis zehn und folgte ihm. Mein Vater ging Richtung Innenstadt. Ich wechselte ein paar Mal die Straßenseite, ließ mich zurückfallen und holte wieder auf, wenn er um eine Ecke bog. In der Fußgängerzone war es etwas schwieriger, ihm zu folgen. Samstagmittag, die Stadt war voll. Ich zog meine Jacke aus und hielt sie in der Hand. Es war Anfang September, noch immer mehr als zwanzig Grad und blauer Himmel. Bevor in ein oder zwei Wochen unwiderruflich der Herbst kam, wollten die Leute noch ein paar Mal ihre kurzen Röcke, die knappen T-Shirts und die offenen Schuhe und Sandalen ausführen. Sie saßen vor den Eisdielen und den Szene-Cafés, löffelten bunte Becher und betrachteten glücklich kühle Getränke in beschlagenen Gläsern, an denen Wassertropfen herabperlten. Kinder pusteten durch ihre Strohhalme Luft in Apfelschorlen, und ihre Eltern hatten die Welt im Griff, weil sie Sonnenbrillen trugen und niemand ihnen in die Augen sehen konnte. Mein Vater blieb vor einem chinesischen Restaurant stehen und warf einen Blick auf die Speisekarte, die in einem roten, von einem kleinen Pagodendach gekrönten Schaukasten hing. Er sah durch eines der Fenster und ging weiter. Als wir zum Bahnhof kamen, fürchtete ich, er würde einen Zug nehmen, aber er ging durch die Halle hindurch, nahm den Südausgang und wandte sich nach rechts. An der Ausfallstraße, die zur Universität hinausführte, lag das Kelo, eine auf drei versetzten Ebenen angeordnete Mischung aus Café, Restaurant und Bar mit Backsteinwänden und Tischen aus Tropenholz, benannt nach einer Nummer von Miles Davis. Ich mochte keinen Jazz. Mein Vater ging hinein, und ich wartete ein paar Minuten, bevor ich ihm folgte. Caroline saß auf der Empore, zu der links vom Tresen eine kleine Treppe hinaufführte. Mein Vater hatte auf der rechten Seite am Fenster Platz genommen. Ich nickte Caroline zu und setzte mich auf einen Barhocker. Im Spiegel hinter dem Tresen konnte ich trotz der davor aufgereihten Spirituosen meinen Vater beobachten. Ein junger Mann ganz in Sc Leseprobe

Inhalt

»Auf dem Bild sehen Sie so aus, als würden Sie gleich eine der Flaschen nehmen und an die Wand werfen«, hatte Evelyn gesagt, als sie Abzüge ihrer Fotos präsentierte, die sie am Tag zuvor im PINK MOON gemacht hatte: Felix alleine, Felix zusammen mit Walter, seinem Schulfreund und Geschäftsführer, die Bar, die grobkörnigen Fotos von Nick Drake, Tim Buckley und Gram Parsons im Hintergrund, das PINK MOON in der Totalen. Im Übrigen fand Felix nicht, dass er aggressiv wirkte. Oder unglücklich. Warum auch? Probleme hatten doch nur den anderen. Wie sein ebenso geheimnisvoller wie zutraulicher Nachbar Renz. Oder sein Tennispartner Wöhler. Und vor allem seine Mutter, die Zeit ihres Lebens ihrer großen Liebe nachgetrauert hatte, seinem Vater, dem Held und großartigen Tänzer, der kurz nach Felix’ Geburt für immer verschwand. Die ihre große Sehnsucht mit unglücklichen Affären stillte. Und die ihm ein Restaurant geschenkt hatte, das ihn nicht brauchte. So genießt Felix ein Leben als stiller Teilhaber – bis er eines Tages an einer Straßenecke einem Mann gegenübersteht, von dem er weiß, dass es sein vor Jahren verstorbener, unbekannter Vater ist...