Beschreibung
Gibt es einen postmodernen Gott? Nietzsches Botschaft, Gott sei tot, ist Allgemeingut geworden. Aber wer ist an seine Stelle getreten? Der Philosoph Gianni Vattimo plädiert für eine neue Form der Christlichkeit: es könnte ein christlicher Glaube sein, der sich von allen Dogmen befreit hat.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
pina.lore@hanser.de
Kolbergerstaße 22
DE 81679 München
Autorenportrait
Martin Pfeiffer, Studium der Indologie und Slavistik an der FU Berlin; ab 1975 Übersetzungen (Englisch, Russisch, Italienisch &c); 1990-2001 Privatdozent für Indologie; Autoren u. a. George Steiner, Saul Friedländer, Robert Harrison.
Leseprobe
Die Verkündigung Nietzsches, wonach »Gott tot ist«, stellt nicht nur oder in erster Linie ein Bekenntnis zum Atheismus dar, so als sagte man: Gott existiert nicht. Eine derartige Behauptung, die Nichtexistenz Gottes, kann Nietzsche nicht formulieren, denn sonst würde die behauptete absolute Wahrheit dieser Behauptung für ihn immer noch soviel bedeuten wie ein metaphysisches Prinzip, eine wahre »Struktur« des Realen, welche dieselbe Funktion hätte wie Gott in der traditionellen Metaphysik. Dort, wo es ein Absolutes gibt, und sei es auch die Behauptung der Nichtexistenz Gottes, gibt es immer noch die Metaphysik, das höchste Prinzip, und das heißt eben gerade jenen Gott, dessen Überflüssigkeit Nietzsche entdeckt zu haben glaubt. Kurz gesagt, Gott ist tot, das bedeutet für Nietzsche, daß es kein letztes Fundament gibt, und nichts anderes. Wenngleich Heidegger das nicht anerkennen will, hat auch seine Polemik gegen die von ihm so genannte Metaphysik, das heißt die gesamte europäische philosophische Tradition seit Parmenides - welche meint, sie könne ein letztes Fundament der Realität in Form einer objektiven Struktur bestimmen, die wie ein Wesenskern oder eine mathematische Wahrheit außerhalb der Zeit gegeben ist -, eine analoge Bedeutung. So wie Nietzsche nicht behaupten kann, daß Gott nicht existiert (damit müßte er ja sagen, daß er die wahre Struktur des Realen kennt), so kann Heidegger nicht die Metaphysik bestreiten und behaupten, daß das Reale eine andere - nicht objektive, veränderliche usw. - Struktur habe, denn auf diese Weise würde er immer noch eine Struktur behaupten. Tatsächlich leugnet Heidegger die metaphysische - objektive, dauerhafte, strukturelle - Konzeption des Seins nur im Namen der Erfahrung der Freiheit: Wenn wir existieren, als Projekte, Hoffnungen, Absichten, Ängste, kurz, als endliche Wesen, die eine Vergangenheit und eine Zukunft haben und nicht nur Erscheinungen sind, dann kann Sein nicht in Begriffen der objektivistischen Metaphysik gedacht werden. Diese Ablehnung der Metaphysik drückt in Wirklichkeit die Haltung eines großen Teils des - nicht nur philosophischen, sondern auch künstlerischen, literarischen und religiösen - Denkens der ersten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts aus, als die humanistische Kultur das Bedürfnis zu verspüren begann, sich gegen jene »totale Organisation« der Gesellschaft aufzulehnen, die mit der Rationalisierung der Arbeit und dem Triumph der Technologie durchgesetzt wurde. Nach Ansicht eines großen Teils der Philosophie des 20.Jahrhunderts läßt sich Sein nicht mehr als Fundament denken, und dies nicht nur deshalb, weil man Gefahr liefe, daß dieser Objektivismus die totalitäre Gesellschaft und, zum bösen Schluß, Auschwitz oder den Gulag vorbereitet. Tatsache ist, daß es der europäischen Kultur zum Bewußtsein gekommen ist, daß es andere Kulturen gibt, die sich nicht einfach als »primitiv« einstufen lassen, das heißt als solche, die auf dem Wege des »Fortschritts« hinter uns Westlern hinterherhinken. Das 19.Jahrhundert ist die Epoche, in der sich die historischen Wissenschaften, aber auch die Kulturanthropologie entwickelten: Es reifte das Bewußtsein, daß es nicht nur einen einzigen Gang der Geschichte (der dann angeblich in der westlichen Zivilisation kulminiert), sondern verschiedene Kulturen und Geschichtsverläufe gibt. Dieses Bewußtsein erhielt später entscheidende Anstöße durch die Befreiungskriege der Kolonialvölker. Der Aufstand Algeriens gegen Frankreich und dann, zu Beginn der Siebziger, der Krieg um das Erdöl, das sind die letzten Episoden des nicht nur theoretischen, sondern praktischen und politischen Zusammenbruchs des Eurozentrismus, und das heißt der Idee einer einzigen menschlichen Zivilisation, deren Leitstern und Gipfelpunkt vorgeblich Europa darstellt. Wie passen nun alle diese Dinge, und das heißt Nietzsche, Heidegger, das Ende des Kolonialismus und der christliche Glaube, zusammen? Mir scheint ganz einfach, daß man sagen kann, die Epoche, in der wir heute le Leseprobe