Beschreibung
Die gefeierte Starautorin Vicki Baum verfasste neben Romanen wie 'Menschen im Hotel' auch zahlreiche feuilletonistische Texte. Kritisch, ironisch und prägnant fängt sie darin den Zeitgeist und die Atmosphäre der Zwischenkriegszeit ein wie kaum eine andere. 'Makkaroni in der Dämmerung' versammelt Vicki Baums Feuilletons erstmals in Buchform: von Mode und Schönheit über Kunst und Kultur, Wien, Hollywood und den amerikanischen Lifestyle bis hin zu aktuellen sozialpolitischen Themen.
Autorenportrait
Vicki Baum (* 1888 in Wien, gestorben 1960 in Hollywood), Schriftstellerin, Feuilletonistin und Drehbuchautorin. 1929 erschien ihr Bestseller »Menschen im Hotel«, der unter dem Titel »Grand Hotel« verfilmt wurde. Ab 1926 arbeitete sie als Redakteurin im Ullstein Verlag in Berlin, 1932 Emigration in die USA. Ein Jahr später wurden ihre Bücher vom NS-Regime in Deutschland verboten.
Leseprobe
Makkaroni in der Dämmerung (Die Dame, 1931) Als ich ein Baby war, bekam ich viele Bilderbücher geschenkt; das hörte auf zwischen meinem fünften und sechsten Jahr, in der Zeit, da ich mit viel Kunst und Zähigkeit das Lesen erlernte. Aber neuerdings hat es wieder angefangen. Bilderbücher sind ein Geschenkartikel geworden, der sich auf dem Gabentisch des modernen Erwachsenen zu Haufen türmt. Das hängt erstens zusammen mit den Fortschritten der Fotografie und den Errungenschaften der Drucktechnik, habe ich mir sagen lassen. Und zweitens mit jenen infantilen Eigenschaften, die sich im Wesen des modernen Erwachsenen großgezüchtet haben: Ungeduld und Neugierde. Wozu sich noch die Mühe machen, zu lesen? denkt dieser moderne Erwachsene, da man doch alles und jedes fotografieren kann! Ihm fliegen die gebratenen Resultate ins Gehirn, er braucht nicht mehr den Umweg des Denkens zu Hilfe zu nehmen. Tiere sehen uns an, Kinder sehen uns an, Dinge sehen uns an - und wir sehen sie an, mit einem ziemlich beschwerdelosen Vergnügen und ohne viel Kritik. Die Fotografen, diese Teufelskerle, kommen doch hinter alles. Sie zeigen uns: das Gesicht der Städte, das Antlitz der Zeit, Frauen von heute, den Mann von morgen. Sie entdecken Wolkenkratzer, Hände, die Staubfäden der Feuerlinie, Totenmasken, das Liebesspiel der Stichlinge, den Tanz der Maschinen und die Landschaft, die sich in einem Wassertropfen spiegelt. Sie knipsen, und wir brauchen überhaupt nichts mehr zu tun. Wir kriegen alle Eindrücke fertig belichtet und vorgekaut. Es gibt da eine Art von Fotografien, die sehr überhandgenommen haben. Ich habe zu meiner inneren Erleichterung den Sammelnamen 'Makkaroni in der Dämmerung' dafür erfunden. Weiß man, was ich meine? Ich meine: Zweihundert Zwirnspulen auf einer Tischplatte, ein bißchen Lichtspielerei und ein bißchen Perspektivzauber. Ich meine: Achtzehn Paar Schuhe hintereinander aufgestellt, und so von schräg unten aufgenommen, daß sie wie eine Straße oder ein Turm aussehen. Marke: Sachliche Fotografie. Ich meine: Aus einem Jutesack (wunderbar wie das Material lebt! sagt der Kenner) fließen dreieinviertel Pfund geschälter Reis. Sieht das nicht wunderbar aus? Ja, liebe Fotografen, das sieht wunderbar aus, wenn man es zum erstenmal sieht. Auch beim drittenmal noch macht es Eindruck und beim zehntenmal Vergnügen. Aber beim hundertstenmal fängt es an, langweilig zu werden. Wir sind langsam hinter eure Tricks gekommen, wir kennen euer ewiges Treppenhaus, von unten her zur Schnecke zusammengeschoben, eure kühn verkürzten Hausfassaden und eure Schornsteinsilhouetten. Ihr kommt noch immer, seit drei oder vier Jahren kommt ihr und wollt uns immer wieder mit der gleichen Sache überrumpeln. Aber wir wissen schon! Achthundert Teerfässer. Gut. Tausend Glasplatten. Schön. Zwölfhundert Holzlöffel. Ausgezeichnet. Zweitausend Allgäuer Käse. Prachtvoll. Viertausend Pfund Makkaroni. Wunderbar, wie das aussieht. Und so sachlich - nicht? Bitte um Entschuldigung: Nein. Es ist nicht so sachlich und heutig und schlagwortmäßig einwandfrei, wie es beansprucht, zu sein. Es ist sehr viel Arrangement dabei, Jupiterlicht von links oben und eine spiegelnde Glasfläche darunter und ein Reflex, mit Silberpapier herausgekitzelt, und es ist viel Routine dabei, ein bißchen zuviel Routine. Es sind nicht Makkaroni schlechthin, sondern Makkaroni in der Dämmerung. Das ging mir so durch den Kopf, als ich die Bilderbücher durchblätterte, die mir der liebe Weihnachtsmann gebracht hat, weil ich das Lesen verlernt habe wie sehr viele Zeitgenossen. Ich möchte die Namen der Bücher nicht nennen, die ich meine, es sind sehr gute Bücher und die besten Fotografen dabei, und es könnte aussehen wie bösartiges und unangebrachtes Meckern. Während es im Gegenteil eine Ermutigung sein soll: Los von den Makkaroni, liebe und dankbar verehrte Fotografen, und auf zur Entdeckung neuer und bewegterer Dinge.