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Mit wachen Sinnen

62 Portraits von jungen Freunden der Salzburger Festspiele

Erschienen am 06.08.2009
39,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783990140017
Sprache: Deutsch
Umfang: 140 S., mit zahlreichen Farbabbildungen
Format (T/L/B): 1.4 x 29.5 x 17.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Thomas OberenderStockwerk "Ka€oe a€" Ein Lob des EnthusiasmusIch war 16 Jahre alt und besuchte eine Berufsschule mit Abiturzweig in Weimar. Mein Deutschlehrer war zugleich unser Sportlehrer und vernachlässigte in beiden Fächern regelmäßig seinen Lehrplan, um die geniale Erfindung des Taschenbuchs zu preisen und uns über den Segen einer Lektüre im Park oder auf Bahnfahrten aufzuklären. Bei diesen Gelegenheiten zog er sogleich ein solches Taschenbuch aus seinem Jackett hervor und trug uns Berufsschülern eine Passage aus Thomas Manns Tonio Kröger oder Stendhals Rot und Schwarz vor. Im Kreis seiner Kollegen, die uns in Maschinenbau und Werkstoffkunde unterrichteten, blieb dieser Lehrer eine exotische, auch von meinen Mitschülern beargwöhnte Erscheinung. Eines Tages fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, den Jugendklub des Nationaltheaters zu besuchen. Und es ist ihm zu verdanken, dass ich eines Abends, nachdem ich im Lehrlingsheim vergeblich nach Verstärkung gesucht hatte, alleine die Tür zu jenem Jugendklub öffnete und mich an einen Tisch setzte, an dem Schauspieler und viele junge Leute saßen, während eine Dramaturgin über die Aufführung von Schillers Don Carlos sprach. Diese Runde selbstbewusster junger Menschen und einer ganz anders gearteten Begegnung mit der Literatur und einer Aufführung zog mich über die Schwelle ins Innere des Theaters. Fortan wurde mir diese Runde zur zweiten Heimat, und ich nahm an den Gesprächen mit Künstlern, den Probenbesuchen und Projekten des Jugendklubs teil. Gegen Ende meiner Lehrzeit spielte ich in der Inszenierung eines Schauspielers am Nationaltheater die tragende Rolle eines der Vögel aus Aristophanes’ gleichnamigem Stück, und kurz nach meinen Abiturprüfungen fragte ich die Jugendklubleiterin, was ich denn studieren könne, um am Theater zu arbeiten. Sie sagte: Theaterwissenschaft. Ich fand tatsächlich eine Universität, die dieses mir rätselhafte Fach unterrichtete, studierte zum Erstaunen meiner Eltern fünf Jahre an der Humboldt-Universität und später, nachdem ich begonnen hatte, eigene Stücke zu schreiben, noch einmal an der Universität der Künste, und irgendwann rief ein werdender Intendant an und nahm mich mit auf seine Theaterreise. Wo immer mich diese Reise hingeführt hat a€" an ihrem Anfang stand der einsame Enthusiasmus eines Lehrers für das Theater und die Arbeit jener Leiterin eines Jugendklubs, die die Lebenswege einiger meiner Freunde aus jener Zeit in Bahnen lenkten, die für immer dem Theater verbunden blieben. Beiden Figuren, dem Lehrer und der Programmgestalterin, begegnete ich in Elfi Schweiger wieder, als ich vor einigen Jahren meine Arbeit bei den Salzburger Festspielen begann. Und nicht nur ihr, sondern vielen jungen Menschen, die durch sie dem Theater näher kommen, als dies besuchsweise gemeinhin möglich ist. Auch in ihnen begegne ich mir selbst, meinem Fasziniertsein von der Welt der Künstler, ihren Ideen und ihrer scheinbar ganz anderen Lebensart, die mir die Augen öffneten und mich erwachsener fühlen ließen, als ich es damals war. Jugendarbeit, so lernte ich später von meinem ersten Intendanten, ist die Arbeit an unserem Publikum von morgen. Aber über diesen pragmatischen Satz hinaus bedeutet der Jugendklub von damals für mich bis heute eine Art Lebensschule, wie sie nirgends sonst zu finden war. Und doch ist ihr Lehrplan fakultativ und beruht auf einer schwer zu ergründenden Passion. Elfi Schweiger sieht pro Jahr mehr Inszenierungen, als ich sie trotz meiner beruflichen Verpflichtungen besuchen kann. Gefragt, woher sie diese Energie nimmt, sagte sie mir unlängst im Tone eingestandener Ratlosigkeit: "Ich lerne ja so viel im Theater.a€oe Und zwischen ihren zahllosen Theaterreisen begleitete diese Professorin der Mathematik Generationen von Schülern erfolgreich zur Matura, ist sie die Mutter einer großen katholischen Familie und einer unübersehbaren Schar von Theaterkindern. Eine gewisse Asozialität wohnt dieser unbedingten Leidenschaft fürs Theater und Th ...

Leseprobe

Stockwerk "K" - Ein Lob des Enthusiasmus von Thomas Oberender Ich war 16 Jahre alt und besuchte eine Berufsschule mit Abiturzweig in Weimar. Mein Deutschlehrer war zugleich unser Sportlehrer und vernachlässigte in beiden Fächern regelmäßig seinen Lehrplan, um die geniale Erfindung des Taschenbuchs zu preisen und uns über den Segen einer Lektüre im Park oder auf Bahnfahrten aufzuklären. Bei diesen Gelegenheiten zog er sogleich ein solches Taschenbuch aus seinem Jackett hervor und trug uns Berufsschülern eine Passage aus Thomas Manns Tonio Kröger oder Stendhals Rot und Schwarz vor. Im Kreis seiner Kollegen, die uns in Maschinenbau und Werkstoffkunde unterrichteten, blieb dieser Lehrer eine exotische, auch von meinen Mitschülern beargwöhnte Erscheinung. Eines Tages fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, den Jugendklub des Nationaltheaters zu besuchen. Und es ist ihm zu verdanken, dass ich eines Abends, nachdem ich im Lehrlingsheim vergeblich nach Verstärkung gesucht hatte, alleine die Tür zu jenem Jugendklub öffnete und mich an einen Tisch setzte, an dem Schauspieler und viele junge Leute saßen, während eine Dramaturgin über die Aufführung von Schillers Don Carlos sprach. Diese Runde selbstbewusster junger Menschen und einer ganz anders gearteten Begegnung mit der Literatur und einer Aufführung zog mich über die Schwelle ins Innere des Theaters. Fortan wurde mir diese Runde zur zweiten Heimat, und ich nahm an den Gesprächen mit Künstlern, den Probenbesuchen und Projekten des Jugendklubs teil. Gegen Ende meiner Lehrzeit spielte ich in der Inszenierung eines Schauspielers am Nationaltheater die tragende Rolle eines der Vögel aus Aristophanes' gleichnamigem Stück, und kurz nach meinen Abiturprüfungen fragte ich die Jugendklubleiterin, was ich denn studieren könne, um am Theater zu arbeiten. Sie sagte: Theaterwissenschaft. Ich fand tatsächlich eine Universität, die dieses mir rätselhafte Fach unterrichtete, studierte zum Erstaunen meiner Eltern fünf Jahre an der Humboldt-Universität und später, nachdem ich begonnen hatte, eigene Stücke zu schreiben, noch einmal an der Universität der Künste, und irgendwann rief ein werdender Intendant an und nahm mich mit auf seine Theaterreise. Wo immer mich diese Reise hingeführt hat - an ihrem Anfang stand der einsame Enthusiasmus eines Lehrers für das Theater und die Arbeit jener Leiterin eines Jugendklubs, die die Lebenswege einiger meiner Freunde aus jener Zeit in Bahnen lenkten, die für immer dem Theater verbunden blieben. Beiden Figuren, dem Lehrer und der Programmgestalterin, begegnete ich in Elfi Schweiger wieder, als ich vor einigen Jahren meine Arbeit bei den Salzburger Festspielen begann. Und nicht nur ihr, sondern vielen jungen Menschen, die durch sie dem Theater näher kommen, als dies besuchsweise gemeinhin möglich ist. Auch in ihnen begegne ich mir selbst, meinem Fasziniertsein von der Welt der Künstler, ihren Ideen und ihrer scheinbar ganz anderen Lebensart, die mir die Augen öffneten und mich erwachsener fühlen ließen, als ich es damals war. Jugendarbeit, so lernte ich später von meinem ersten Intendanten, ist die Arbeit an unserem Publikum von morgen. Aber über diesen pragmatischen Satz hinaus bedeutet der Jugendklub von damals für mich bis heute eine Art Lebensschule, wie sie nirgends sonst zu finden war. Und doch ist ihr Lehrplan fakultativ und beruht auf einer schwer zu ergründenden Passion. Elfi Schweiger sieht pro Jahr mehr Inszenierungen, als ich sie trotz meiner beruflichen Verpflichtungen besuchen kann. Gefragt, woher sie diese Energie nimmt, sagte sie mir unlängst im Tone eingestandener Ratlosigkeit: "Ich lerne ja so viel im Theater." Und zwischen ihren zahllosen Theaterreisen begleitete diese Professorin der Mathematik Generationen von Schülern erfolgreich zur Matura, ist sie die Mutter einer großen katholischen Familie und einer unübersehbaren Schar von Theaterkindern. Eine gewisse Asozialität wohnt dieser unbedingten Leidenschaft fürs Theater und Theatervolk inne, di