Beschreibung
Zusammen mit seinem trollähnlichen Diener haust der anfangs noch namenlose Ich-Erzähler in einem schäbigen New Yorker Apartment und führt dubiose Aufträge für eine Person durch, die sich 'der Lotse' nennt. Gegenwärtig soll eine höchst befremdliche Fracht transportiert werden, doch die Arbeit erweist sich als so kraftraubend und sinnentleert, dass der Erzähler beginnt, nicht nur an seiner Aufgabe, sondern auch an sich selbst zu zweifeln. Wer ist er wirklich? Warum ist sein Leben eine Lüge? Und wieso ist er in der Lage, von den USA aus mit der U-Bahn nach Paris, Amsterdam und Kiel zu fahren? Mit 'Der Bahnhof von Plön' legt Christopher Ecker sein bislang kühnstes Buch vor - eine verstörende Tour de Force, die gleichermaßen Zeitanalyse, Entwicklungsroman, spannender Thriller, literarische Fantasy und ein philosophischer Exkurs der düstersten Sorte ist. Im Mittelpunkt des ebenso virtuosen wie doppelbödigen Spiels um Trug und Wirklichkeit steht ein schmerzhafter Selbstfindungsprozess: Wenn wir diejenigen sind, die durch unsere Erinnerungen geformt werden, wer sind wir dann, wenn diese Erinnerungen falsch sind?
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Leseprobe
Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, schenkten mir meine Pflegeeltern ein Meerschweinchen. Ich erinnere mich noch gut an die Kinderhand, die den Deckel des Käfigs aufklappt, der in der Zimmerecke auf dem grauen Teppich steht. Das Meerschweinchen, das zuvor geschäftig in seinem Häuschen aus Pappe geraschelt hat, scheint die Luft anzuhalten. Die Hand senkt sich in den Käfig, hebt blitzschnell das Häuschen hoch - das Tier duckt sich erschrocken im Licht. Brächte man nun seine Nase nahe an das gesträubte Fell, röche man feuchte, kreatürliche Angst. Und jetzt kommt der Vergleich: Als man mir den Umschlag mit den drei Hotelzimmerschlüsseln aushändigte und ich mir nie hätte träumen lassen, irgendwann einmal als Lehrer zu arbeiten, führte ich mein Leben wie dieses plötzlich seines Hauses beraubte Tier. Und ähnlich dem sich schreckensstarr in die Streu duckenden Meerschweinchen versuchte ich, mir niemals anmerken zu lassen, bar jeglichen Schutzes zu sein. Ich war - und bin es vielleicht noch immer - die ohnmächtige Spielfigur gewisser unbarmherziger Kräfte oder Parteien, über die später, sofern mir das gelingt, Genaueres zu berichten sein wird. Und viel mehr als heute war ich, um es pathetisch auszudrücken, ein aus Zeit und Sinn Gefallener