Beschreibung
'Denken heißt nicht, über etwas nachsinnen, sondern Zeugnis ablegen.' Diesen Satz stellt Etel Adnan ihrem jüngsten Text voran. Es geht um Wahrnehmung all dessen, was unser Leben ausmacht: Momente des Alltags, Form und Funktion von Gegenständen, die Natur in ihren Veränderungen, Gefühle und Befindlichkeiten, Blicke auf andere Menschen, Einblicke in sich selbst - aber auch um die Gewissheit, in einen Zusammenhang eingebunden zu sein, der über das Sichtbare hinausgeht, der die Gegenwart dort justiert, wo sie sich befindet: im Raum, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Etel Adnan spricht von Universum und Geschichte und eröffnet eine neue Ebene der Wahrnehmung, die unser Leben in einen historischen, metaphysischen und spirituellen Kontext stellt - vermittelt durch Sprache, durch den Wechsel von Tonarten, durch den spezifischen Klang. Nur so kann ein Satz zu einem Gedanken werden, der es vermag, 'Zeugnis abzulegen'.
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Autorenportrait
Etel Adnan, Schriftstellerin und Malerin, wurde 1925 in Beirut, Libanon, geboren. Ihre Mutter war eine christliche Griechin aus Smyrna, ihr Vater ein muslimischer Syrer. Besuch französischer Schulen in Beirut, 1949 Studium der Philosophie in Paris, ab 1955 in den USA. Von 1958 bis 1972 unterrichtete sie Geisteswissenschaften und Philosophie in San Rafael, Kalifornien. 1972 Rückkehr nach Beirut, Feuilletonredakteurin der Zeitung Al-Safa. Zwei Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs zog sie nach Paris, 1979 ging sie wieder nach Kalifornien. Lebt heute in Paris und Sausalito (Kalifornien). Für ihre Verdienste um die arabische Welt wurde Etel Adnan 2010 vom libanesischen Präsidenten Michel Slaiman mit dem Staatspreis ausgezeichnet.
Leseprobe
Verbindungslinien liegen seither tief unter der Haut begraben. Nebel breitet sich über der Geschichte aus, ohne sich zu heben. Unordnung ist chronisch, Preisgabe, im Kern erotisch. Opfer sind gefährlich in ihrer Rache. Kann man Erinnerung brechen, wie man Stein bricht durch Stein? Hat Erinnerung die Funktion, zuerst zusammenzubrechen, durch eigenes Zutun, dann die Teile aufzusammeln und sie wieder zusammenzusetzen, aber unbeholfen, niemals so, wie sie gewesen waren? Ist ein gebrochenes Bewusstsein nur gebrochen, oder hat es sich vervielfältigt? Könnte ein Gehirn, kollabiert, aber wieder zusammengeflickt, erneut den Frühling an Kaliforniens nördlicher Grenze genießen und sich bewusst sein, dass nur Musik die Durchdringung unserer Augen durch blühende Bäume zum Ausdruck bringen kann? Als wäre Schmerz eine Metapher für Genuss. Mit dieser Aussage ist der Fall erledigt. Wasser durch Rinnsteine leiten und die blauen Eichelhäher mit Beeren füttern, der perfekte Balanceakt der Natur. Es wäre absurd, Theorien zu Rate zu ziehen, um die rostfarbenen Berge Kaliforniens zu besteigen. Für Liebende ist Liebe kein Spiel. Im Zuge ihrer Zerstörung zerbrechen Körper wie Glas oder zerbröseln wie weicher Kuchen.