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Böhmische Bibel / Libuse

Böhmische Bibel - Unheilige Schrift für Puppen 2, Europa erlesen, Böhmische Bibel 2, Unheilige Schrift für Puppen - Europa Erlesen Literaturschauplatz

Erschienen am 25.10.2008
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783851297829
Sprache: Deutsch
Umfang: 165 S.
Format (T/L/B): 1.2 x 15.8 x 9.9 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die Böhmische Bibel verquickt Mythos und Müll zu Puppen, in denen Menschen stecken. Ein Arzt, der Traumfrauen verwirklicht und Kinderwünsche erregt. Ein japanischer Zauberer mit Rucksack statt Hut. Politische Erlöser und Menschenrechtsverteidiger, die sich nicht mögen. Eine Gottestochter. Prag. Schwelle. Stromschnelle. Im Ton schwingt die unheilige Schrift, zwischen Gospel, Jazz und Soul - Breton, der Alte, ist auch dabei und Kafkas fliegender Erzähler. Unsägliches wird sagbar. Crossover und Ordnung, ein paar Meter über dem Boden. Künstliche Menschen explodieren, Fremde vermehren sich, Figurinen mit Präsidentenhirnen dürfen ihren Platz einnehmen und sich geschlechtsverwandeln. Der Schrei nach Hilfe und Halt. Sind wir etwa auf einem psychotischen Trip à la Hieronymus Bosch? Theologisch hintergründig wird die Vaterrolle im globalen Mix von Religion, Politik und Medienikonografie ausgespielt. Wobei klar ist, ohne Vater geht gar nichts, aber wer ist es durch wen? Die Erbsünde ist eine Aufzählerei - wo gezählt wird, wird auch bezahlt, und zwar mit dem Leben. Die Böhmische Bibel legt Zeugnis ab von einer Utopie des Verstehens, ohne sie wäre das ganze Leben nur halb so wild.

Autorenportrait

Lydia Mischkulnig,1963 in Klagenfurt geboren, lebt in Wien.Studium "Bühnenbild" an der Univesität für Musik und darstellende Kunst Graz (1986), Studium "Filmproduktion" an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (1991). Mehrere Preise und Stipendien, manuskripte-Förderpreis für Literatur 1994, Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis 1996, Österreichische Staatsstipendien für Literatur und Dramatik 2007. Sabine Scholl, lebt nach Aveiro, New York, Chicago heute als freie Autorin in Berlin, hält Vorlesungen an Universitäten, zuletzt Nagoya/Japan. Sie gebar zwei Kinder, schrieb elf Bücher: Zuletzt "Sprachlos in Japan" 2006. Gemeinsam gründen sie 2007 die literarische Bewegung Tinternational Textunternehmen in Tokio. Zur Methodik von Textunternehmen Tinternational Die Autorinnen Lydia Mischkulnig und Sabine Scholl erarbeiten Satz für Satz gemeinsam. Unbedingtes Einlassen auf die Sprache des anderen ist unser Credo, unsere Kunst ist Verstehen und daraus Geschichte zu entwickeln und Geschichten. Die Utopie liegt darin, den sprachlos Gewordenen ein Haus Böhmen zu geben, Literatur als wechselnder Ort, als neue Heimat. Wir, die Autorinnen, komponieren im Wechselgesang. Wir, Orpheus und Eurydike in einem zu zweit, springen über unsere Schatten. Wir eröffnen Ideen, indem wir Geschichten STÜCKELN - nicht ZERstückeln. Geschrieben werden darf alles, was in den Sinn kommt - beglaubigte und unglaubliche Sätze. Sprache ist das Werkzeug, um einander zu hören, zu verstehen, sich in eine Geschichte zu schwingen. Das Internet ermöglicht diese Form des Schreibens zwischen beliebigen geografischen Aufenthaltsorten. Jeder Satz ist eine Passage - ein Übergang. Passage für Passage schicken wir einander in elektronischer Post zu. Die Anknüpfungspunkte unterliegen einer Abmachung: Mitten im Satz aufhören und zur Vollendung an die Mitschreibende schicken, zum Weiterspinnen. Grenze und Entfremdung bilden Parameter des Subjekts der westlichen Geistesgeschichte. Wir prüfen und verändern dieses Muster. Das Schreiben zu zweit im Netz durchlöchert den Anspruch auf alleinige Erzeugerschaft. Statt eines einzigen allmächtigen Schöpfers gibt es somit zwei Schöpferinnen. Außerdem gilt: Wer das erste Wort hat, entscheidet die Münze. Wer das letzte Wort hat, ist eine Frage des Zufalls. Wir tinternationalisieren uns. Das Internet wird Tinternet in diesem Tun. Gehet hin in Frieden und leset - amen.

Leseprobe

Als das Mädchen vor der Hütte saß und nachdenklich einen Grashalm kaute, hörte es plötzlich eine Stimme: He, du! Ich wusste gar nicht, dass Menschenkinder auch Gras fressen! Libuse blickte um sich, konnte die Stimme hören, aber keinen dazu passenden Körper entdecken. He, bist du blind? Ich stehe ziemlich nahe vor dir. Sagte die Stimme hämisch. Libuse blinzelte. Das einzige, was sie sah, waren ein paar Vögel in den Bäumen und die frei laufenden Kühe, die frühmorgens bereits lautstark damit beschäftigt waren, das würzige Almgras zwischen ihren Zähnen zu zermalmen. Na, siehst du mich? Hörte sie die Stimme direkt von der Wiese her. Sie konnte sich nicht täuschen. Schließ die Augen, kleine Libuse, und gehe immer geradeaus. So wirst du mich finden. Sagte die Stimme. Libuse gehorchte und marschierte barfuß durch die taufeuchten Grashalme, streckte die Ärmchen vor sich aus und traumwandelte in Richtung der Stimme, bis sie plötzlich von einem warmen, weichen Bauch gestoppt wurde. Genau, ich bin's!.