Beschreibung
Der Roman beginnt mit einem Verbrechen: der riesengroße Kutscher Pachom, zerzaust, übellaunig und verkatert, tritt mit seinen riesengroßen Stiefeln den Hundewelpen Muschka tot. Die Tochter des Hauses, Natascha, ist untröstlich und verliert ihren Glauben an das Gute: "Wenn jemand Muschka töten kann, dann bedeutet das - man kann alles!" Natascha wächst heran, schließt das Gymnasium ab, besucht Vorlesungen in Philosophie - besonders begeistert sie sich für den deutschen Modephilosophen jener Zeit, Friedrich Nietzsche - und verliert ihren Glauben an Gott. "Natascha Kalymowa wuchs in den Tagen des russischen Heldentums auf, als dieses ein erstes Mal aufflammte. Aber jener Frühling war allzu kurz, allzu rasch kam der Frost zurück, und gerade die jungen Pflanzen waren es, die den größten Schaden nahmen." Die junge Frau aus gutem Hause träumt schon bald davon, nicht nur darüber zu streiten, wie die Welt eine bessere werden könne, sondern eine jener Helden zu werden, die die eingefrorenen Verhältnisse im russischen Zarenreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Gewalt zu verändern suchen. Die Bewunderung für den entschlossenen Aljoscha, den Anführer einer Terrorgruppe, dem seine Kampfgefährten den Decknamen "Hirsch" gegeben haben, tut das Übrige, Natascha verlässt ihr Heim und ihre Familie, um sich jenen anzuschließen, die "von den einen Verbrecher, von den anderen Heilige genannt wurden", und wird Revolutionärin und fanatische Terroristin. Gemeinsam mit Aljoscha zeichnet sie für zahlreiche Attentate in Petersburg verantwortlich. Nach dem Bombenanschlag auf das Wohnhaus des Premierministers werden Aljoscha und Natascha zum Tode verurteilt. Nataschas Urteil wird in lebenslange Haft umgewandelt, und nach einiger Zeit gelingt es ihr, aus dem Gefängnis und schließlich auch aus Russland zu fliehen. Auf ihrer Flucht erkennt sie, wie sehr sie sich "in den Netzen der Geschichte verstrickt hat", und dass es lediglich die romantische Vorstellung vom Heldentum war, für die sie sich begeistert hat. Ihr Weg ins Exil führt Natascha um die halbe Welt und wird sinnbildlich zu einem Weg der Läuterung - über Sibirien, die Mongolei und die Wüste Gobi, die sie als einzige Frau im Gefolge einer Handelskarawane durchquert. Das Buch vom Ende erzählt vom Leben der geläuterten Terroristin in der Emigration, zunächst in Paris, wo sie das Programm der russischen Bildungsreisenden jener Zeit absolviert, doch das Lächeln der Mona Lisa rührt sie nicht an. Dann reist sie weiter nach Italien und findet dort Zuflucht in einem Palazzo, den ein wohlhabender Genueser Kaufmann russischen politischen Flüchtlingen zur Verfügung gestellt hat. Sie lernt Iwan kennen, die beiden bekommen zwei Töchter, denen Natascha hingebungsvolle Mutter ist. Ihre Träume von der Rückkehr nach Russland erfüllen sich nicht. Bei der Pflege ihrer kranken Tochter infiziert sie sich mit der damals in Europa grassierenden Spanischen Grippe und stirbt. Auf ihrem Lebensweg begegnet Natascha immer wieder einem "ewigen Pilger", dem "Zeugen der Zeit". Der Pope Vater Jakow, der seine Pfarre verloren hat, wird auf seiner Pilgerschaft zum Beobachter und Chronisten, der seine Eindrücke von den Geschehnissen in Russland in linierten Schulheften notiert. Im Gegensatz zu Natascha, die die Zeitläufte durch Terror aktiv zu verändern sucht, bleibt Jakow zwar stets unbeteiligter Zeuge, ist aber gleichwohl aus seiner Position der Menschlichkeit heraus in manchen Situationen ihre Rettung. Ossorgin vergegenwärtigt aus autobiografischer Sicht das Revolutionsgeschehen und den Terrorismus in Russland vor und während der ersten Revolution 1905 und das Leben der russischen politischen Flüchtlinge in der Emigration.
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Autorenportrait
Michail Andrejewitsch Ossorgin oder Iljin, wie er eigentlich hieß, ist bei uns und sogar in Russland eine unbekannte Schriftstellergröße. Er wurde 1878 in Perm geboren, war Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre, nahm am Aufstand von 1905 teil, trat 1913 wegen der Heirat mit Rachil Ginzberg zum Judentum über, wurde 1914 Freimauerer, wirkte nach der Oktoberrevolution gegen die Bolschewisten, wurde 1919 und 1921 verhaftet, kam jeweils nach Interventionen wieder frei und wurde schließlich 1921 mit anderen Intellektuellen des Landes verwiesen. Trotzki kommentierte dies folgendermaßen: Wir haben diese Leute deshalb ausgewiesen, da wir einerseits keinen Vorwand hatten, sie zu erschießen, sie aber andererseits nicht mehr dulden konnten. Nach einer Zeit in Berlin ließ sich Ossorgin schließlich in Paris nieder, wo er andere Emigranten, wie Boris Sajzew oder Mark Aldanow, traf. In Frankreich entstanden auch seine wichtigsten Werke, wie Siwzew Wraschek (1928), unser AB-Titel Eine Straße in Moskau, und Der Freimaurer (1937). Bald nach Ausbruch des Krieges floh Ossorgin nach Chabris, wo er 1942 starb.
Leseprobe
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