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Kunst und Grausamkeit

Eine Abrechnung - Über Grenzen, Kunstfreiheit und die beinahe unnavigierbaren Paradoxien dieser Welt

Erschienen am 20.03.2024, 1. Auflage 2024
28,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783737412339
Sprache: Deutsch
Umfang: 340 S.
Format (T/L/B): 3.2 x 20.6 x 13.6 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In ihrem Werk ergründet Nelson die Beziehung zwischen Kunst und Ethik und zieht dafür von Fotografie über Film bis hin zu Literatur und Malerei Beispiele heran, die sie punktgenau analysiert. Ihr Anliegen ist, zu untersuchen, inwiefern Kunst, die Grausamkeit thematisiert, in einer ohnehin grausamen Welt von Bedeutung ist, was ihre Motivation und ihre Wirkungen sind. Nelson verzichtet dabei auf Werke mit eindeutiger moralischer Aussage sowie auf solche, die Grausamkeit unreflektiert darstellen; vielmehr sucht sie das Vielschichtige und Uneindeutige auf, legt ihr Augenmerk auf kontroverse, schwer einzuordnende Werke. Dabei verknüpft sie ihre präzisen Betrachtungen mit philosophischen und ethischen Fragestellungen, zeigt die politischen Dimensionen der Kunstproduktion und -rezeption auf und behält immer die Menschlichkeit im Blick, zu der alle Kunst letztlich in Bezug steht. Der Hintergrund, vor dem das Werk entstand - Krieg und Menschenrechtsverletzungen - ist auch in Europa bedauernswerterweise aktueller denn je. Nelsons nuancierte Erkundung der künstlerischen Landschaft des 20. und 21. Jahrhunderts bietet ein Modell dafür, wie sich ethische Überzeugungen mit Wertschätzung für Kunstwerke in Einklang bringen lassen, die die Grenzen des Geschmacks, des Tabus und der Zulässigkeit berühren.

Leseprobe

Ähnliche Anklagen [wie Kara Walker] haben auch [Sylvia] Plath verfolgt, deren Beschwörungen von jüdischer Identität und Holocaust inmitten ihrer psychosexuellen Dramen vielen wie der Gipfel der unverantwortlichen Trivialisierung und Selbstverherrlichung vorkamen. Es überrascht nicht, dass die Reaktionen auf derartige Provokationen heftig ausfielen. In Bezug auf Plaths berüchtigtes Gedicht 'Daddy', in dem die Sprecherin sagt: 'Ich denke, dass ich auch [eine Jüdin] bin', und ihren Vater mit einem Nazi vergleicht, schimpfte der Kritiker Leon Wieseltier (dessen Eltern Holocaust-Überlebende waren): 'Was immer Plaths Vater ihr angetan hat, es kann keinesfalls das gewesen sein, was die Deutschen den jüdischen Menschen angetan haben. Die Metapher ist unangemessen.' Die feministische Kritikerin Jane Marcus äußert sich ähnlich: 'Für einige der leidenden Jugendlichen ist die Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen genau dasselbe wie die Wut, die sie 20 Jahre später beim Tod ihres Vaters empfinden.  Plaths Fähigkeit als Dichterin, persönlichen Schmerz und persönliches Leid in Begriffe zu fassen, die dem Leiden von Millionen entsprechen, spricht jenes spezielle Publikum an, das das Gefühl haben muss, dass sein persönliches Leid einzigartig und kolossal ist.' Was mir hier ins Auge sticht, ist die wiederholte kritische Behauptung, dass jede Künstlerin ein direktes Verhältnis zeichnet, nach dem ihre persönliche Situation mit dem öffentlichen Leiden von Millionen anderer 'genau dasselbe' sei (und zwar solcher anderer, deren Privatsphäre und Individualität in den Augen vieler inzwischen sicher im großen Lauf der Geschichte verschwunden sind). Aber sagt Walker wirklich, dass das Leben als berühmte Künstlerin 'genau dasselbe' ist wie das einer Sklavin? Sagt Plath wirklich, dass die Ermordung von sechs Millionen Juden 'genau dasselbe' ist wie ihr Schmerz oder ihre Wut? (Und inwiefern kann ein historisches Ereignis überhaupt mit einer persönlichen Empfindung vergleichbar sein, wenn man bedenkt, dass es sich in gewissem Sinne doch um völlig unterschiedliche Sphären handelt?) Im Werk von Walker und Plath finden sich hässliche Parallelen, unerhörte Assoziationen und gelegentlich erschreckende spekulative Identifikationen. Doch warum muss man diese verschiedenen Vorgänge zu 'exakten Entsprechungen' zusammenfassen, und sei es auch nur, um den kritischen Blick zu schärfen? Und warum die Alarmglocke der 'Angemessenheit' läuten, wo doch die Aufforderung, sich angemessen zu verhalten - wie Plath und Walker sehr wohl wissen - in der Kunst, insbesondere für Frauen, dem Läuten der Todesglocke gleichkommt?

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