Beschreibung
Knockin' on Heavens Door, Blowin' in the Wind, The Times are a-Changin': Mit seinen Songs spiegelt und prägt Bob Dylan seit den 1960er Jahren das Lebensgefühl der Protest-Generation. Was vielen unbekannt ist: Wie ein roter Faden durchziehen von Anfang an religiöse Themen seine Lieder. Mit prophetischem Pathos beklagt Dylan Ungerechtigkeit und mahnt vor der Apokalypse. In wunderschönen Bildern lässt er die irdische mit der himmlischen Liebe verschmelzen. Eindringlich schildert er Begegnungen mit Engeln und Glaubenserfahrungen mit Gott und Jesus. Auf verblüffende Weise lässt er biblische Gestalten wiederaufleben. Die Schönheit und Tiefe seiner Sprache wurde 2016 mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Dylans Wirken changiert zwischen Protestsänger, Troubadour und Rock-Poet. Uwe Birnstein geht auf die Suche nach den religiösen Spuren in Bob Dylans Werk. Er schildert, wie der jüdisch geborene Bob Dylan die biblische Überlieferung als Schatzkiste und Inspirationsquelle nutzt. Es wird deutlich: Die Fragen nach Gnade, Gericht und Erlösung durchziehen Dylans gesamtes Leben und Werk. Die kluge und kreative Art und Weise, mit der er nach Antworten sucht, machen Dylan zu einem der wichtigsten Botschafter des Glaubens der Pop-Generation. Mit teilweise erstmals veröffentlichten SchwarzWeißFotos
Autorenportrait
Uwe Birnstein (*1962), evangelischer Theologe, arbeitet seit 1991 als Journalist für Printmedien, Hörfunk und Fernsehen. Bekannt durch Beiträge in der ZEIT, der taz und bei ARD-Sendern sowie als Autor mehrerer Bücher, u. a. über historische und heutige Persönlichkeiten aus dem christlichen Bereich. Seine Biografie über Margot Käßmann wurde zum SPIEGEL-Bestseller. Auch als Musiker (Gitarrist) ist Uwe Birnstein seit langem unterwegs, z. B. mit einem Programm über "Luther & Lindenberg - Zwei Deutsche für ein Halleluja" - und neuerdings über Leonard Cohen. Im Verlag Neue Stadt erschien von ihm bereits in der gleichen Reihe "Hallelujah", Leonard Cohen! als Buch und Hörbuch.
Leseprobe
Prolog Berlin, 29. Juni 1978: Da vorne stand eines meiner musikalischen Idole im Rampenlicht, sang Blowin in the Wind - und wurde ausgebuht. Ich war sechzehn Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr. Klar, die Songs hörten sich anders an als Anfang der Sechzigerjahre, als der schmächtige Newcomer Bob Dylan nur mit Klampfe und Mundharmonika die Menschen faszinierte. Jetzt stand der 37-Jährige mit krausem Haar und wie ein Popstar aus Las Vegas gekleidet auf der Bühne der Deutschlandhalle. Hinter ihm heizte eine elfköpfige Band ein. Wo früher die Mundharmonika wimmerte, kreischte nun herzzerreißend ein Saxophon. Wo früher Joan Baez lupenrein die zweite Stimme sang, legten jetzt drei Backgroundsängerinnen soulige Stimmwolken über Dylans nasale Reibeisenstimme. Aber warum deshalb buhen? Hatten die Menschen etwa erwartet, dass Dylan in Birkenstocksandalen die Bühne betritt, um ihnen ein paar unterstützende Worte zum Anti-AKW-Kampf, zur Friedensbewegung und zur Kreuzberger Hausbesetzerszene zu sagen? Warum schrien die Menschen denn enttäuscht herum, statt die neuen Arrangements seiner alten Lieder zu feiern, womöglich sogar zu tanzen? Hatten sie Dylans 1964 entstandenen Song The Times They Are a-Changin immer nur mitgesungen, aber gar nicht verstanden? Am Ende des Berliner Konzerts sang er ihn, auch in einer Rockversion, fast wie ein Gospel hörte er sich an. Seit 1964 hatten sich die Zeiten in vielerlei Hinsicht sehr verändert. Aber die Menschen hier sperrten sich offensichtlich dagegen. Sie fühlten sich in ihrer Selbstgefälligkeit nicht von diesem Lied herausgefordert. Sie wollten ihren Bob Dylan genauso, wie er früher vermeintlich mal war: Mögen sich die Zeiten auch verändern - aber doch bitte nicht Bob Dylan! Ich jedenfalls hatte meinen Spaß an diesem Sommerabend in Berlin, genoss Dylans Show und die Band. Zwei Stunden anspruchsvolle Rockmusik vom Feinsten. Großartig. Zuhause würde ich seine Songs auf meiner Klampfe ja weiterhin wie immer spielen - aber nun mit erweitertem Horizont. Ich würde selbst auch Neues probieren: Dont Think Twice mit ReggaeRhythmus. Blowin in the Wind nicht mehr so pathetisch protestierend, sondern irgendwie poppiger. Und Like a Rolling Stone mit weniger Geschrummel und mehr RockRiffs. Das sollte doch auch auf meiner IbanezWesterngitarre gehen, die ich mir zur Konfirmation gegönnt hatte und die viele der DylanSongs schon kannte: Mister Tambourin Man, Hurricane, Desolation Row und Maggies Farm. Ein Zitat aus diesem Lied stellte der Journalist Arnd F. Schirmer seinem Konzertbericht voran, der zwei Tage nach dem Berliner Buh-Konzert im Tagesspiegel erschien: I try my best to be just like I am, but everybody wants you to be just like them (Ich habe mein Bestes gegeben, um so zu sein, wie ich bin - aber alle wollen nur, dass man so ist wie sie). Der Journalist äußerte sich ebenfalls verwundert über das aggressive Publikum, das mit gnadenlosen Pfiffen für eine beklemmende Atomsphäre gesorgt habe. Mit seinem neuen Sound habe Dylan allen die Lehre erteilt, dass Illusionen zwar eine feine Sache sind, dass die Realität ihnen aber immer wieder ein Bein stellt. Die klammheimliche Hoffnung, dass vielleicht doch aus dem merkwürdigen Wesen auf der Bühne der alte, unser Dylan hervorkriechen könnte, ist ein Wunderglaube. Wer ist überhaupt Dylan? Eine gute Frage. Sie beschäftigte mich fortan. Und stellte sich neu, als ich wenig später Unglaubliches über ihn las, das nun auch mich verblüffte und verunsicherte: Dieser Mann, der gerne alle Erwartungen an sich abprallen ließ, bekannte sich neuerdings zu Jesus Christus?! Der Jude Bob Dylan sei zum christlichen Glauben konvertiert, hieß es. In seinen neuen Songs singe er nun von Erlösung und davon, dass allein Jesus die Menschen retten könne. Ich hatte als Jugendlicher den christlichen Glauben in seiner liberalen und offenen Weise kennen und schätzen gelernt. Was es mit Gott auf sich hat, was wirklich in der Bibel steht und wer dieser Jesus von Nazareth war, dem wollte ich nachgehen. Inzwischen studierte ich Theologie. Dort erhoffte ich mir kluge, differenzierte und angemessene Antworten auf meine Fragen. Und nun las ich, dass ausgerechnet der freiheitsliebende Bob Dylan sich von den simplen Antworten und der spirituellen Übergriffigkeit fundamentalistischer USChristen hatte vereinnahmen lassen. Oh my God. Und tatsächlich erschienen bald Langspielplatten mit frommen Liedern á la Dylan: Slow Train, Saved, Shot of Love. Im Sommer 1981 wurde ich Zeuge dieser unglaublichen Wandlung vom Protestsänger zum wiedergeborenen Christen. Dylan live im Freilichttheater Bad Segeberg. Anders als drei Jahre zuvor spielte er The Times They Are a-Changin nicht am Ende, sondern zu Beginn des Konzerts - so als wolle er das Publikum einschwören auf die neueste Veränderung. Schon der zweite Song gab einen Eindruck von der Wandlung: Gotta Serve Somebody: Irgendjemandem musst du dienen, es mag der Teufel oder der Herr sein. Weitere glaubensbekenntnisartige Lieder folgten und gipfelten im Song Jesus Is The One. Frommer geht nimmer. Doch kurz darauf endete Dylans Ausflug in die Welt der (strengen Missionar auch schon wieder. Es wirkte, als schüttele er sich kurz und komme wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Großartige, tiefsinnige Langspielplatten erschienen, auf denen er mit dem Zeitgeist und der bleibenden Ungerechtigkeit, mit sich selbst und auch mit Gott ins Gericht ging. In einem SPIEGEL-Interview beteuerte er dennoch: Ich bin mir sicher, dass es einen großen göttlichen Sinn hinter allem gibt. Auch den Reichtum der biblischen Geschichten ließ er weiter in seine Songs einfließen und verwob sie mit seinen Lebensthemen zu musikalischen Collagen, die so vielschichtig und genial sind, dass sie im Jahr 2016 sogar das Nobelpreiskomittee überzeugten. Viele in der Fachwelt rümpften empört die Nase: Ein Sänger soll den Literaturnobelpreis bekommen?! Ich frohlockte mit den Dylan-Kennern und freute mich über diese mutige und überfällige Entscheidung. Endlich wurde Dylan nicht nur als Musiker gewürdigt, sondern auch als Poet. Für Zeilen, die sich ins kulturelle Gedächtnis mehr als einer Generation eingebrannt haben. Viele davon stammen aus dem Schatz der Bibel. I Contain Multitudes, singt Dylan auf seiner aktuellen CD. Ich enthalte Vielheiten lässt sich das in etwa übersetzen. Das wirkt, als wolle er seinen Fans noch mal klipp und klar erklären: Den Bob Dylan, den sie sich zurechtgezimmert und -geträumt haben, den gibt es so nicht. Im just like Anne Frank, like Indiana Jones / And them British bad boys, The Rolling Stones, singt er. Das muss man erst mal schaffen: Die Grausamkeit der Nazi-Gewaltherrschaft mit hollywoodesker Erlösungs-Action und urwüchsiger Rockmusik in einem Atemzug zu nennen, ohne oberflächlich zu werden. Jahrelang beobachtete ich Bob Dylan aus der Ferne. Nicht nur, weil mich viele seiner Lieder beim Hören oder Selbst-Spielen berührten. Auch, weil mir die Trennung zwischen fromm und weltlich, zwischen gläubig und nichtgläubig, irdisch und himmlisch schon lange nicht mehr einleuchtete. Wer sich lauthals als Christ bezeichnet, nutzt den Begriff oft eher als Kampfbegriff denn als spirituelle Selbstbeschreibung. Eine Aufteilung der Welt in gut und böse, hell und dunkel, gläubig und nichtgläubig, heilig und profan bringt jedoch weder wirkliche Erkenntnis noch wird sie der vielfältigen Wirklichkeit gerecht. Bob Dylans Lyrik zollt der vom Heiligen Geist durchtränkten Realität ihren Tribut. Sie ist ein wundervolles Mittel, die Sinnfrage fantasievoll statt in festgefahrenen theologischen, philosophischen oder anderen Bahnen anzugehen. Dylan gibt nichts vor. Er öffnet Horizonte. Er bietet mit seinen Songs unzählige Inspirationen, um dem Sinn und sich selbst näherzukommen. Dazu gehören auch die Fragen: Welche Rolle spielt der Glaube in meinem Leben? Wie verknüpfe ich die Aussagen der Bibel mit meinem Lebensalltag? Welche Rolle spielen für mich Gnade und Erlösung, die Angst vor der Apokalypse un...