Beschreibung
'Nichts Menschliches, nichts Allzumenschliches war ihm fremd. Lesen Sie Balzac!' Marcel Reich-Ranicki Seelenverwandtschaft oder Prestige, Gefühl oder Marktwert - was ist die gültige Währung im großen Tauschgeschäft der Partnerwahl? Unter den vielen Perlen in Balzacs Jahrhundertwerk, der monumentalen 'Menschlichen Komödie', leuchtet dieser Roman als besonderes Glanzstück hervor: Inspiriert vom Werben um die Frau seines Herzens, der das Buch gewidmet ist, gelang dem französischen Nationaldichter seine charmanteste Amoureske.Eine Wirtschaftskrise reißt Charles Mignon, einen der reichsten Kaufleute Le Havres, über Nacht in den finanziellen Ruin und zwingt ihn, das Land zu verlassen. Allen gesellschaftlichen Umgangs beraubt, flüchtet sich seine Tochter Modeste in die Welt der Bücher. Besonders schwärmt sie für Canalis, den gefeierten Pariser Dichterfürsten, dem sie heimlich einen enthusiastischen Brief schreibt. Der landet, wie alle Verehrerpost, auf dem Schreibtisch von dessen Sekretär. So findet sich Modeste alsbald in einen innigen Briefwechsel verstrickt - doch mit einem anderen Mann, als sie glaubt.Vor dem Hintergrund der dramatischen Finanzkrise von 1826, die Firmen bankrottgehen und Banken zusammenbrechen ließ, entfaltet Balzac diese ebenso schwungvolle wie tiefgründige Komödie der Irrungen.
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Autorenportrait
Honore de Balzac (1799-1850), eigentlich der Generation der Romantiker angehörend, bildet zusammen mit Stendhal und Flaubert das große Dreigestirn der französischen Realisten. Ruinöse Unternehmungen als Verleger und Spekulant sowie sein hemmungslos verschwenderischer Lebensstil stürzten Balzac schon in jungen Jahren in gewaltige Schulden und zwangen ihn zeitlebens zu rastloser literarischer Arbeit. Seine fast hundert Titel umfassende, als universelles Sittengemälde seiner Zeit angelegte "Comédie humaine", ist Geniestreich der Selbstvermarktung und virtuoses Monumentalwerk der Weltliteratur in einem.
Leseprobe
Anfang Oktober 1829 ging der Notar Monsieur Simon Babylas Latournelle von Le Havre nach Ingouville hinauf, Arm in Arm mit seinem Sohn und in Begleitung seiner Frau, die den ersten Schreiber der Kanzlei, einen kleinen Buckligen namens Jean Butscha, wie einen Pagen mit sich führte. Als die vier Personen, von denen mindestens zwei jeden Abend diesen Weg zurücklegten, an der Kehre der Fahrstraße ankamen, die sich nach oben windet wie die Straßen, die die Italiener corniche nennen, sah sich der Notar um, ob ihn niemand von einer Terrasse herab, hinter oder vor ihnen, hören konnte, und er sprach aus einem Übermaß an Vorsicht nur mit halber Lautstärke. "Exupere", sagte er zu seinem Sohn, "versuche, das kleine Manöver, das ich dir gleich andeuten werde, mit Verstand auszuführen und ohne weiter nach dem Sinn zu forschen; wenn du ihn dennoch errätst, befehle ich dir, ihn in jenen Styx zu werfen, den jeder Notar oder jeder Mann, der sich einem obrigkeitlichen Amt widmen will, für die Geheimnisse der anderen in sich haben muss. Nachdem du Madame und Mademoiselle Mignon, Monsieur und Madame Dumay sowie Monsieur Gobenheim, wenn er im Chalet ist, deine Hochachtung, deine Ehrerbietung und deinen Respekt erzeigt hast und wieder Ruhe eingekehrt ist, wird dich Monsieur Dumay beiseitenehmen; die ganze Zeit, während er mit dir spricht, wirst du (ich erlaube es dir) Mademoiselle Modeste mit Neugier betrachten. Mein würdiger Freund wird dich bitten, draußen spazieren zu gehen, um nach etwa einer Stunde, gegen neun Uhr, mit erregter Miene zurückzukommen; versuche dann, das Keuchen eines atemlosen Menschen nachzuahmen, und sage ihm ganz leise, aber doch so, dass Mademoiselle Modeste dich hört, ins Ohr: " Exupere sollte am nächsten Tag nach Paris aufbrechen, um dort sein Rechtsstudium zu beginnen. Dieser bevorstehende Aufbruch hatte Latournelle dazu veranlasst, seinem Freund Dumay seinen Sohn als Komplizen für die bedeutsame Verschwörung vorzuschlagen, die dieser Auftrag vermuten lässt. "Verdächtigt man Mademoiselle Modeste etwa, ein geheimes Liebesverhältnis zu haben?", fragte Butscha mit schüchterner Stimme seine Herrin. "Pst! Butscha", entgegnete Madame Latournelle, indem sie den Arm ihres Gatten nahm. Madame Latournelle, Tochter des Amtsschreibers am Stadtgericht, findet sich durch ihre Geburt hinreichend berechtigt, sich als Spross einer zum Parlament gehörigen Familie zu bezeichnen. Dieser Anspruch zeigt schon, warum diese Frau mit dem etwas rötlich aufgedunsenen Gesicht versucht, sich die Würde des Gerichts zu geben, dessen Urteile von ihrem Herrn Vater aufgezeichnet werden. Sie schnupft Tabak, hält sich steif wie ein Stock, tritt wie eine angesehene Frau auf und gleicht völlig einer Mumie, der der Galvanismus für einen Augenblick das Leben zurückgegeben hat. Sie versucht, ihrer kreischenden Stimme einen aristokratischen Klang zu verleihen; aber es gelingt ihr ebenso wenig wie das Kaschieren ihrer fehlenden Bildung. Ihre gesellschaftliche Nützlichkeit scheint angesichts der mit Blumen ausgerüsteten Hauben, die sie trägt, sowie der gekräuselten Haartour über den Schläfen und der Kleider, die sie wählt, unbestreitbar. Wo würden die Kaufleute diese Waren unterbringen, wenn es nicht Madame Latournelles gäbe? Alle Lächerlichkeiten dieser würdigen, durchaus mildherzigen und frommen Frau wären vielleicht fast unbemerkt geblieben; aber die Natur, die sich bisweilen einen Scherz erlaubt, indem sie solche albernen Geschöpfe in die Welt setzt, hat sie mit der Statur eines Tambourmajors ausgestattet, um die Einfälle dieses provinziellen Geistes deutlich hervorzuheben. Sie hat Le Havre nie verlassen, sie glaubt an die Unfehlbarkeit Le Havres, sie kauft alles in Le Havre, sie lässt sich dort einkleiden; sie gibt sich als Normannin bis in die Fingerspitzen, sie verehrt ihren Vater und vergöttert ihren Mann. Der kleine Latournelle hatte die Kühnheit besessen, dieses Mädchen, das bereits das ehefeindliche Alter von dreiunddreißig Jahr Leseprobe