Beschreibung
Diese Geschichte des Wissenstransfers beginnt im 7. Jahrhundert v. Chr. in Ionien an der kleinasiatischen Küste. Naturphilosophen wie Thales von Milet erforschen hier Himmel und Erde. Auf Milet folgen Athen, Alexandria, Rom und Byzanz als Zentren der Wissenschaft. Doch zu Beginn des Mittelalters geht dieses Wissen in Europa verloren. Aufbewahrt wird es in der arabischen Welt: Über das abbasidische Bagdad, das fatimidische Kairo und das omayyadische Damaskus folgt Freely arabischsprachigen Gelehrten, Ärzten und Mathematikern nach Andalusien. Muslime, nestorianische Christen, Juden und Sabier bringen das verlorene Wissen im Zuge der Expansion des Islams zurück nach Europa und liefern dem Westen damit die Voraussetzung für das neue wissenschaftliche Weltbild, das in den neuen Zentren der Wissenschaft wie Paris und Oxford entsteht. Eine faszinierende Reise durch die Zeit zwischen Ost und West Was Europa der islamischen Welt verdankt Eine Gegenerzählung zum 'clash of civilisations' und der angeblichen Wissenschaftsfeindlichkeit des Islam.
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Autorenportrait
John Freely, geboren 1926 in Brooklyn, lebt und unterrichtet in Istanbul an der Bosphorus-Universität Physik und Wissenschaftsgeschichte. Er schrieb zahlreiche Reisebücher und historische Sachbücher über Venedig, Athen, Griechenland, die Türkei und das Osmanische Reich.
Leseprobe
IONIEN: DIE ERSTEN NATURPHILOSOPHEN Das antike Milet befand sich an der Ägäischen Küste der heutigen Türkei südlich von Izmir, dem griechischen Smyrna. Als ich Milet im April 1961 zum ersten Mal besuchte, war es völlig verlassen. Nur die klingelnden Glöckchen einer Ziegenherde mit ihrem Hirten durchbrachen die Stille, als ich zwischen den Ruinen umherwanderte: das große hellenistische Theater, die höhlenartigen römischen Bäder, die Kolonnadenstraße, die zum Löwenhafen führte, und die umgebenden Läden und Lagerhäuser, früher voll mit Waren aus den milesischen Kolonien, aus so weit entfernten Gegenden wie Ägypten und dem Pontos. Jetzt waren die Gebäude vollkommen zerstört und zum Teil mit Erde bedeckt, aus der die ersten Frühlingsblumen sprossen, leuchtendrote Mohnblumen, die sich von den blassen Marmorresten der toten Stadt abhoben. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird an dieser Stelle ausgegraben: Alle noch vorhandenen antiken Gebäude wurden zu Tage gefördert und mehr oder weniger restauriert, wenn auch der antike Löwenhafen seit langem verlandet ist und Milet inzwischen kilometerweit vom Meer entfernt liegt. Der Eingang zum Hafen wird immer noch von den zwei liegenden Marmorlöwen bewacht, die ihm den Namen gaben, auch wenn sie jetzt zur Hälfte mit Schwemmland bedeckt sind - Symbole der glorreichen Stadt, die Herodot 'eine Perle Ioniens' nannte. Der griechische Geograph Strabon (um 63 v. Chr. um 23 n. Chr.) berichtet: 'Zahlreich sind die Unternehmungen dieser Stadt, die größte aber ist die Menge ihrer Pflanzstädte. Denn der ganze Pontus Euxinus [das Schwarze Meer], die Propontis [das Marmarameer] und viele andere Gegenden wurden durch sie angesiedelt.' Ausgrabungen haben gezeigt, dass die frühesten Überreste von Milet auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts v. Chr. zurückgehen, als Kolonisten aus dem minoischen Kreta vermutlich hier eine Siedlung gründeten. Eine zweite Kolonie entstand während der Massenzuwanderung von Griechen im 1. Jahrtausend v. Chr., als sie ihre Heimat auf dem griechischen Festland verließen und in Richtung Osten über die Ägäis zogen, um sich an der Küste Kleinasiens und den vorgelagerten Inseln niederzulassen. An dieser Völkerwanderung waren drei griechische Stämme beteiligt - die Äolier im Norden, die Ionier in der Mitte und die Dorer im Süden -, gemeinsam führten sie die griechische Kultur zu ihrer ersten Blüte. Die Äolier brachten die Dichterin Sappho hervor, die Ionier Homer und die Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes, und die Dorer Herodot, den 'Vater der Geschichtsschreibung'. Im ersten Buch seiner Historien berichtet Herodot über diese Völkerwanderung, die Ionier hätten letztendlich das beste Fleckchen in Kleinasien ergattert, denn sie 'haben ihre Städte in einer Gegend gegründet, die das angenehmste Klima der ganzen uns bekannten Erde hat'. Pausanias bemerkt im 2. Jahrhundert n. Chr. in seiner Beschreibung Griechenlands: 'Das Land der Ionier erfreut sich des glücklichsten Klimas; es hat auch Heiligtümer wie sonst nirgends der Wunderwerke in Ionien sind viele und stehen denen in Griechenland nicht viel nach.' Die ionischen Kolonien schlossen sich bald zum Ionischen Bund zusammen. Dieser Bund umfasste jeweils eine Stadt auf den Inseln Chios und Samos und zehn auf dem gegenüber liegenden Festland Kleinasiens, und zwar Phokaia, Klazomenai, Erythrai, Teos, Lebedos, Kolophon, Ephesos, Priene, Myus und Milet. Das Bündnis, auch als Dodekapolis ('Zwölf Städte') bekannt, hatte seinen gemeinsamen Versammlungsort in dem Panionion auf dem Festland gegenüber Samos. Die Ionier kamen auch jedes Jahr auf der Insel Delos zusammen, dem sagenhaften Geburtsort Apollons, ihres Schutzgottes, dem sie dort mit Spielen und Wettkämpfen huldigten. Im Homerischen Apollonhymnos beschreibt der Dichter das festliche Treiben: Aber, Phoibos, dein Herz schwelgt doch am reichsten in Delos. Dies ist der Ort, wo Ioniens Söhne in wallenden Kleidern Dir zu Ehren sich sammeln samt Kindern und züchtigen Weibern. Freude bereiten sie dir, denn sie denken an dich, wenn der Wettstreit Anhebt mit Tänzen und Liedern und Faustkampf. Mancher der Gäste Meint wohl, wenn er Ioniens Söhnen dort allen begegnet, Daß es Unsterbliche seien und solche, die nimmermehr altern. Säh er bei allen doch Anmut, schwelgte sein Herz doch in Freuden, Wenn er die Männer erblickt und die schön gegürteten Frauen, Schiffe in eilender Fahrt und die Fülle ihres Besitztums. In der Seefahrt und im Handel war Milet allen anderen ionischen Städten weit überlegen, und so errichtete es im 8. Jahrhundert v. Chr. an den Küsten des Schwarzen Meeres die ersten Kolonien. Über die nächsten beiden Jahrhunderte betrieb Milet eine aktive Besiedlungspolitik und gründete insgesamt 30 Städte um das Schwarze Meer und an seinen Zugängen am Hellespont und rund um das Marmarameer, weitaus mehr als die anderen Stadtstaaten der griechischen Welt. Außerdem hatte Milet auch einen Außenposten in Naukratis, einem griechischen Handelsplatz im Nildelta, der um 650 v. Chr. gegründet wurde. Andere griechische Städte hatten indessen an den Küsten im westlichen Mittelmeer Kolonien errichtet. Süditalien und Sizilien waren am dichtesten besiedelt; diese Region nannte man später Magna Graecia, Großgriechenland. Doch die ionischen Städte verloren schließlich ihre Freiheit, erst an die Lyder und dann an die Perser; deren Vorstöße, Griechenland zu erobern, endeten allerdings mit Niederlagen gegen die griechischen Verbündeten in den Schlachten von Marathon (490), Salamis (480) und Plataiai (479 v. Chr.). Der persische Großkönig Xerxes rächte sich für seine Niederlage bei der Insel Salamis mit der Zerstörung Milets, aber die Stadt wurde kurz darauf wieder aufgebaut. In der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. war sie wieder ein florierender Hafen und ein wichtiges Handelszentrum. Durch ihren weit reichenden Seehandel kamen die Milesier mit den älteren Hochkulturen im Vorderen Orient in Kontakt, besonders in Ägypten, von wo sie mit Waren, aber auch mit Ideen zurückkehrten. Herodot schreibt: 'Als erste unter den Menschen haben die Ägypter das Jahr gefunden und es in zwölf Monate aufgeteilt. Sie erzählen, die Sterne hätten sie auf diese Einteilung gebracht. Ich glaube, ihre Berechnung ist klüger als die griechische ' Die Handelswege der Milesier führten sie auch nach Mesopotamien, wo sie vermutlich das astronomische Wissen erwarben, das sie für die Navigation und die Zeitmessung brauchten. Aus Mesopotamien brachten sie auch den Gnomon mit, den Schattenzeiger, dazu heißt es bei Herodot: 'Denn die Sonnenuhr mit ihrem Zeiger und die Einteilung des Tages in zwölf Stunden haben die Griechen von den Babyloniern übernommen.' Der Gnomon wurde auch zur Bestimmung der Tag- und Nachtgleichen verwendet, wenn die Sonne genau im Osten aufgeht und genau im Westen untergeht, ebenso wie für die Winter- und Sommersonnenwenden, wenn der Mittagsschatten am längsten beziehungsweise am kürzesten ist. Das griechische Wort für Stern, aster, ist von Ischtar, der babylonischen Fruchtbarkeitsgöttin, abgeleitet, die für die Griechen den Planeten Venus verkörperte. Zunächst hielten sie den Himmelskörper für zwei verschiedene Sterne und bezeichneten ihn als Eosphoros, wenn er vor Sonnenaufgang zu sehen war, und als Hesperos, wenn er am Abend aufging. Später erkannten sie, dass der Morgen- und der Abendstern das gleiche Gestirn waren, nannten es Aphrodite, wie die Göttin der Liebe, und führten so den Kult der babylonischen Ischtar fort. Die Venus ist der einzige Planet, den Homer erwähnt: Bei der Beschreibung der Bestattung des Patroklos in der Ilias nennt er ihn Eosphoros und im Bericht über den Zweikampf zwischen Achilles und Hektor Hesperos. Auch Sappho besingt von den Planeten nur die Venus, und zwar als Hesperos, 'von allen Sternen der schönste'. Die ionischen Griechen überflügelten bald ihre geistigen Vorgänger, besonders in Milet, das im 6. Jahrhundert v. Chr. drei Naturphilosophen hervorbrachte. Über... Leseprobe
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Mit dem Islam kam ein Schatz zurück nach Europa: das verlorene Erbe der griechischen Antike.