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Das Ende unserer Tage

Roman

Erschienen am 22.02.2012
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608939620
Sprache: Deutsch
Umfang: 460 S.
Format (T/L/B): 4 x 21 x 13.6 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In der ehemals reichen Kaufmannsmetropole Hamburg werden Kirchen in Eventagenturen umgebaut. Die legendäre Kammfabrik im Süden Hamburgs wird von chinesischen Investoren übernommen und von Bürokraten abgewickelt. Skrupellose Manager des Verfalls frönen ihrer Überspanntheit in elitären Salons, vereinsamte Individualisten suchen nach Sinn und Wert. Christian Schüle erzählt die Geschichte zweier Männer, die in dieser Welt treiben und von ihr getrieben werden: Charlie Spengler, ein gefeuerter Fabrikdirektor, der zur Gallionsfigur einer Arbeiterrebellion wird. Und JanPhilipp Hertz, ein Jungunternehmer, der auf den Stoßwellen des Umbruchs dem allgemeinen Verhängnis seiner Stadt entgegensurft.

Autorenportrait

Christian Schüle geboren 1970, Studium der Philosophie und Politischen Wissenschaft, ist freier literarischer Autor, Essayist und Reporter und lebt in Hamburg. Seine Reportagen und Feuilletons wurden mehrfach ausgezeichnet. Christian Schüle schreibt u. a. für 'Die Zeit' und den 'Spiegel'. 2006 erschienen von ihm der Essay 'Deutschlandvermessung' und das reiseliterarische Buch 'Türkeireise'.

Leseprobe

PROLOG Ostermontag, 9. April, geschah in dieser Stadt etwas Unerhörtes. Weil es damals auf den ersten Blick kaum der Rede wert war, kommt es erst jetzt zur Sprache. Bei rückwärtiger Betrachtung der ganzen Tragödie vom Fall der Ordnung, von der Flucht der Oberschichten in den Untergrund, vom Aufstieg Spenglers zur Heilsfigur, dem Amoklauf eines ehemaligen Staubsaugervertreters, der Überhitzung, dem unaufhörlichen Regen und dem Verschwinden des Himmels muss man unweigerlich auf das folgende, anfangs von allen Beteiligten unterschätzte Ereignis zurückkommen. Um Viertel nach zehn Uhr morgens kam eine Chinesin in den Beauty-Tempel 4Dimensions Group, Ferdinandstraße 23, und stellte dem legendären Coiffeur Jörg Borgest einen stählernen Käfig - in dem ein schwarzhaariges Geschöpf mit hellroten Augen kauerte - neben einen Kamm der Marke Lady Star auf den Marmortisch. 'Was bringst du uns denn da Hässliches?', fragte Borgest. Als der Maestro kicherte, fuhr die Chinesin ihren Zeigefinger aus und stieß ihn gegen seinen Brustkorb. 'Die Schuld!' 'Gottchen', Borgests Handgelenk knickte ab, 'was sagst du denn da für Sachen! Und was soll dieses ekelhafte Tier hier?' 'Vergiss das Tier.' Die Chinesin zog ihre dunkelgetönte Sonnenbrille auf, drehte sich um und steckte sich Kopfhörerknöpfe in beide Gehörgänge. Ein Klacken ihrer Absätze war das einzige Geräusch, das noch zu vernehmen war. Zurück blieb Stille und der Schatten ihres Lächelns. Zufällig war an diesem Morgen auch der für seinen Spürsinn bekannte Regisseur Roger Mevissen in Borgests Haarsalon. Sein Kopf war abgelegt im Waschbassin, wo ihm eine ukrainische Praktikantin die Nackenmuskeln massierte. Mevissen, gefeierte Ikone des Neuen Politischen Theaters, würde ein Jahr später, kurz vor der Uraufführung seines Stückes Das Ende unserer Tage, im Beisein des Intendanten auf einer Pressekonferenz bekennen, genau diese Szene habe ihm als Auftakt eines großen Sittengemäldes der Gegenwart gedient: Plötzlich sei die Frage nach der Schuld in der Welt gewesen, plötzlich sei es um Alles und Nichts, um Wildheit, Wahn, Krieg und den Exzess der Existenz gegangen - und das an jenem Tag, an dem der Radiosprecher den Tod zweier weiterer Kuriere verkündete. Niemand wusste ja, wer hinter den Hinrichtungen steckte. Seit Monaten waren die Kirchenglocken verstummt; in manchen Glockenstühlen hingen neben Turmfalkennestern gigantische Megafone, aus denen mit körniger Stimme Anweisungen des Senats vorgetragen wurden, bestimmte Gegenden der Stadt zu meiden. Im renovierten Kirchenschiff von St. Petri residierte die Eventagentur Emperado GmbH, und der freigestellte Pastor betrieb in Harvestehude eine Praxis für Reinkarnationstherapie mit dem Namen Seelenernte, ehe er sich aus Verzweiflung über die Sittenlosigkeit seiner Mitmenschen das Leben nehmen würde. Keiner ließ sich mehr krankschreiben, Angestellte kamen mit Schweißausbrüchen in ihre Büros, und vor den Aufzügen der Konzerne warfen Prokuristen ihre Köpfe zurück, um Amphetamine und andere Pillen zu schlucken - gegen Müdigkeit, Erschöpfung, Lähmung, gegen Verstimmungen, Blutstürze, Panikattacken, Ängste, Resignationen, Infektionen. An besagtem Montag packte Borgest in der Mittagspause den Käfig und trug ihn über den Gang in den dritten Stock des 4Dimensions hinauf ins Massagestudio Lotusblüte. Im Laufe der folgenden Monate wechselte der Käfig dreizehn Mal den Besitzer. In seiner Gegenwart begannen Versicherungsagenten, ihren gewaltbereiten Charakter anzuklagen; Anwälte offenbarten Hassgefühle, Bankvorstände Geltungssucht; Kaufleute gestanden Korruptheit, Unternehmer Menschenverachtung, Journalisten gaben Defätismus zu, Ärzte und Immobilienmakler bekannten sich zu sadistischen Neigungen, Werber kämpften mit grassierender Misanthropie. Am 2. Mai fand der erstaunlich kompakte Käfig seinen Weg zu Hans-Joachim Hegenbarth, der es als witzig erachtete, ihn samt der ausgestopften rotäugigen, marderartigen Kreatur mit in sein Büro zu bringen. Ob Zu Leseprobe

Schlagzeile

'Well performed, Jungfuchs. At the end of the day machen wir sie alle platt.'