Beschreibung
Krisen und Konkurse sind Begleiterscheinungen der Wirtschaftsgeschichte - mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen für Unternehmer, Mitarbeiter und die Volkswirtschaft. Ursachen und Folgen eines solchen ökonomischen Scheiterns nehmen die Beiträge dieses Bands aus wirtschafts-, sozial- und kulturhistorischer Perspektive in den Blick. Dabei zeigt sich, wie falsche Marktausrichtung, Mängel in der Organisation oder individuelle Fehlleistungen zum Niedergang von Unternehmen, aber auch zum persönlichen Scheitern von Unternehmern führten. Dennoch ist das Scheitern nicht nur negativ zu sehen, etwa wenn eine Firma nach der Insolvenz von einem neuen Besitzer erfolgreich fortgeführt wird. Auch können persönliche Netzwerke den Absturz eines Unternehmens auffangen. Erst die Auseinandersetzung mit den Schattenseiten und dem fortwährenden Risiko wirtschaftlichen Handelns ermöglicht also ein umfassenderes Verständnis für ökonomische Prozesse und unternehmerisches Wirken.
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Autorenportrait
Ingo Köhler, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen. Roman Rossfeld, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Assistent an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich.
Leseprobe
Von der "schöpferischen Zerstörung" zur evolutorischen Ökonomik: Scheitern in der ökonomischen Theorie Auch in der (neoklassischen) Ökonomie hat das Scheitern lange Zeit kaum Beachtung gefunden und wurde - mit Blick auf konjunkturelle Schwankungen - primär als Sanktion interpretiert. Mit der Insolvenz bestraft der Wettbewerb uneffektive, unproduktive oder wenig innovative Marktteilnehmer. Sicher am bekanntesten und bis heute weit verbreitet ist die letztlich einem Fortschrittsparadigma verpflichtete Vorstellung "produktiven" - und damit auch relativen - Scheiterns beziehungsweise der "schöpferischen Zerstörung" Joseph A. Schumpeters (1883-1950). Der stetige Prozess des Verdrängens ehemals erfolgreicher Unternehmer durch innovative Nachahmer und Konkurrenten wird hier als natürliche Gesetzmäßigkeit und zentraler Antrieb des wirtschaftlichen Wachstums begriffen. Ökonomisches Scheitern wird auf mangelnde Innovationskraft zurückgeführt und ist die Kehrseite eines Fortschritts, der immer auch Verlierer produziert. Die Wirtschaftsgeschichte ist voll von fehlgeschlagenen Innovationen oder unverkäuflichen Produkten, die im Markt nie erfolgreich waren. Unternehmen durchleben "Lebenszyklen" der Gründung, des Erfolgs, des Bedeutungsverlustes und des Sterbens - jeweils in Abhängigkeit von der schwindenden Dynamik ihrer Produkt- und Prozessinnovationen sowie dem Aufstieg ihrer Konkurrenten. Für erfolgreiche Unternehmen besteht das Risiko gerade darin, risikoavers zu werden und angesichts ihres Erfolges zu glauben, sich nicht mehr wandeln zu müssen. Unternehmen scheitern insbesondere in Expansionsphasen "nicht trotz Planung, sondern häufig gerade wegen ihr" und der damit verbundenen Pfadabhängigkeiten. Der funktionierende Markt reinigt sich dabei selbst - und die Auslese hat auch einen Zeitpunkt: den Abschwung. In der Krise, so Werner Sombart 1902, findet "eine Musterung unter den Unternehmern und den Unternehmungen statt: nur die Kräftigen bleiben am Leben, alles Morsche, Faule, Schwächliche, das in den Aufschwungzeiten mitgeschwommen war, verschwindet; das Tüchtige, Lebensfähige wird erhalten". Zugleich ist wirtschaftlicher Fortschritt ohne die Leistung gescheiterter Unternehmer - und die damit verbundenen Lernprozesse - nicht denkbar und Misserfolg beim Eingehen unternehmerischer Risiken durchaus verdienstvoll. Rolf Walter hat betont, dass es zu jedem Zeitpunkt ein "Standardniveau an Krise" gebe und wirtschaftlicher Wettbewerb nicht in einem "Gleichgewichtszustand" (das heißt nicht ohne Druck) entstehe. Pleiten sind aus dieser Perspektive ein Teil der inhärenten Logik des Systems, in dem die Möglichkeit persönlichen oder institutionellen Scheiterns angesichts des permanenten Wettbewerbs, einer offenen Zukunft, begrenzter Planbarkeit und Instabilität wirtschaftlicher Entwicklung immer schon angelegt ist. Für viele neoklassische Volkswirte war der Prozess wettbewerbsorientierter Auslese so selbstverständlich, dass es sich kaum lohnte, einen näheren Blick darauf zu werfen. Alfred Marshall (1842-1924) verglich Unternehmensinsolvenzen in seinem Buch Principles of Economics 1890 "with the rise and fall of the trees in the forest. One did not need to know the individual histories of the trees in order to analyse the forest as a whole." Ökonomisches Scheitern wurde hier - wenige Jahre nach der Großen Depression - rhetorisch geschickt als ein natürliches, durch Lebenszyklen des Werdens und Vergehens geprägtes Phänomen beschrieben, das zwar einzelne Marktteilnehmer, nicht aber den Markt als Ganzes betrifft.
Schlagzeile
Wie und warum Unternehmer scheitern