Beschreibung
Die Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe beschäftigt seit geraumer Zeit Gesellschaft wie homosexuelle Emanzipationsbewegungen, wobei verschiedene Vorstellungen von Gleichstellung und politischer Partizipation kollidieren. Heike Raab analysiert die unterschiedlichen sexuellen Politiken, die in dieser Auseinandersetzung zum Tragen kommen. Am Beispiel der politischen Prozesse um die Homo-Ehe-Gesetzesinitiative erforscht sie lesbisch/ schwule Identitätspolitiken und zeigt, wie sich im politischen Raum Veränderungen vollziehen.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Campus Verlag GmbH
Julia Berke-Müller
info@campus.de
Kurfürstenstr. 49
DE 60486 Frankfurt
Autorenportrait
Heike Raab forscht und lehrt zu feministischen und queeren Disability Studies an der Universität Innsbruck und ist Mitglied des DFG-Forschungsnetzwerks "Praxeologien des Körpers".
Leseprobe
1. Einleitung "Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen. Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren." Im Bereich sexueller Politiken hat in Deutschland bislang wohl kaum ein anderes Thema Politik, Staat und Gesellschaft mehr beschäftigt als die Forderung nach der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Gleichzeitig zeigt die Debatte über die so genannte Homo-Ehe, dass die gegenwärtige Situation der bundesdeutschen Homo-Emanzipationsbewegungen von tiefgreifenden Auseinandersetzungen um sexual-emanzipatorische Politiken geprägt ist. Zwar wurde allgemein das vormals bestehende Ehe-Verbot für Lesben und Schwule als Diskriminierung bewertet, aber in der Einschätzung dieser Diskriminierung kommen deutlich unterschiedliche Auffassungen zum Tragen. So veranschaulicht die Homo-Ehe-Gesetzesinitiative in Deutschland einerseits den zunehmenden Erfolg identitätsbezogener lesbisch/schwuler Integrations- und Minderheitenpolitiken, zugleich wird aber auch der sexual-emanzipatorische Gehalt der identitäts- und integrationspolitischen Maß- nahmen hinterfragt. Mit anderen Worten: Der Ruf nach der Homo-Ehe führt geradewegs zu einer Kontroverse innerhalb der Homo-Emanzipationsbewegungen. Gerade vor dem Hintergrund der (traditionellen) Ehe als staatlicher Grundsäule der hegemonialen (hetero-)sexuellen Ordnung, kann der Disput um die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare somit als Ort unterschiedlicher Sichtweisen darüber angesehen werden, wie im politischen Raum Veränderung entsteht. Die ans Tageslicht getretenen verschiedenartigen Vorstellungen hinsichtlich gesellschaftlicher Gleichstellung und politischer Partizipation verweisen somit auf einen gewichtigen Faktor in der Debatte um das Homo-Ehe-Gesetz. Doch die mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz verbundene politische Kontroverse enthüllt nicht nur eine grundlegende Skepsis gegenüber spezifischen Identitätspolitiken innerhalb der Homo-Emanzipationsbewegungen. Vielmehr signalisiert das Inkrafttreten des Gesetzes zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften am 1. August 2001 den vorläufigen Höhepunkt eines langwierigen dramatischen Wandels im Verhältnis von Homo-Emanzipationsbewegungen und Staat. 1.1 HomoEmanzipationsbewegungen und Staat Das Ziel dieser Studie ist diesen Wandel zu erklären und die kontemporären Beziehungen zwischen Homo-Emanzipationsbewegungen und Staat am Beispiel des Homo-Ehe-Gesetzgebungsprozesses in Deutschland zu untersuchen. Denn historisch betrachtet ist die Regulierung von Homosexualität durch den Staat in der Hauptsache durch Kriminalisierung und Diskriminierung gekennzeichnet. Zu nennen sind hier einerseits gesetzliche Verbote, wie sie etwa in Deutschland im Paragraph 175 Strafgesetzbuch (StGB) zum Ausdruck kommen, sowie wissenschaftliche Diskurse, die zunächst männliche, später jedoch auch weibliche Homosexualität stigmatisieren und zur Krankheit erklären. Mit Michel Foucault gesprochen, ist es die Epoche der Entdeckung der modernen Sexualität, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu veränderten staatlichen Regulierungsmaßnahmen führt. Einmal durch staatliche Gesundheits- beziehungsweise Hygiene- und Familienpolitiken oder Bevölkerungskontrolle in Gestalt der Novellierung des Sexualstrafrechts und des Ehe- beziehungsweise Familienrechts, zum anderen durch wissenschaftliche Konstruktionen von sexuellen Devianzen, die von legitimen Formen der Sexualität scharf unterschieden werden. Innerhalb dieser staatlichen Regulationsweise des Sexuellen konstituieren sich jedoch auch die Vorläufer der modernen Homo-Emanzipationsbewegungen. Es ist die Zeit der Homophilenbewegungen. Das theoretische und politische Fundament der so genannten Homophilenbewegungen entsteht somit Ende des 19. Jahrhunderts. Im Kampf um Anerkennung müssen die Homophilen-Organisationen oftmals unter prekären Bedingungen agieren, da - wie weiter oben geschildert - staatliche Sexualpolitik in der deutschen Monarchie um die Jahrhundertwende Homosexualität kriminalisiert und pathologisiert. Im Vordergrund der Aktivitäten steht Aufklärungsarbeit und Werbung bei Medizinern, Sexualwissenschaftlern sowie Psychologen ebenso wie in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft. Kurz: Es handelt sich um eine Strategie allmählicher Überzeugungsarbeit.
Inhalt
Inhalt Danksagung11 1.Einleitung13 1.1Homo-Emanzipationsbewegungen und Staat14 1.2Queer Theory und Staat 20 1.3Der Staat, die Politik der Ehe und Ehe-Politiken29 1.4Staat, Heteronormativität und neoliberaler Postfordismus32 1.5Die Homo-Ehe als Politikfeld36 1.6Aufbau der Arbeit39 2.Identitätspolitiken im Diskurs42 2.1Identitätspolitiken und geschlechterkritische Theorien sexueller Emanzipationsbewegungen42 2.2Identitätspolitiken und politische Theorien gesellschaftlicher Sexualitäts- und Geschlechterverhältnisse55 2.3Identitätspolitiken und geschlechterkritische Theorien des Staates72 3.Methodologie und Methode 80 3.1Methodologischer Bezugsrahmen: Aspekte der Policy-Analyse81 3.2Methodisch-konzeptionelles Vorgehen: Die diskursanalytische Policy-Analyse 88 4.Veränderte Staatlichkeit97 4.1Disparate Theorien, Staatlichkeit und sozioökonomische Transformationsprozesse101 4.2Identität, Regulation und staatliche Praxen109 4.3Aspekte queerer Ökonomiekritik129 4.4Sexuelle Identitätspolitiken und veränderte Staatlichkeit140 5.Staat als Regierungspraxis143 5.1Zivilgesellschaft und Staat149 5.2Subkultur und Staat157 5.3Gouvernementalität und Staat 163 5.4Identitätspolitiken, Regierungspraxen und kulturelle Hegemonie177 6.Feministische und queere Ehe- und Familienforschung181 6.1Die Ehe als Ordnungsfaktor des Staates184 6.2Historische Ehe- und Familienforschung189 6.3Freie Liebe, wilde Ehe - Pluralität der Lebensformen und die Ehe in der Gegenwart191 6.4(Ver-)queere Liebe? Queerfeministische Ansätze zur Homo-Ehe193 7.Homosexualität und Staat: Eine historische Exkursion202 8.Von der Relevanz zur Akzeptanz: Homo-Emanzipationsbewegungen und Homo-Ehe bis 1998 220 8.1Lesben und Schwule in Bewegung: Die Entstehung der Homo-Ehe-Forderung von 1970-1998222 8.2Richtungsstreit: Die Homo-Emanzipationsbewegungen und die Homo-Ehe ab 1980225 8.3Erster Höhepunkt der Bewegungsdebatte: 1989-1991231 8.4Wandel der Öffentlichkeit: Die Homo-Ehe-Debatte ab 1990239 9.Agenda-Setting in den Institutionen: Institutionelle Diskurse bis 1998246 9.1Juridische Diskurse248 9.2Parlamentarische Diskurse 255 10.Die Homo-Ehe im Diskurs I: Außerparlamentarische Akteure, Initiativen und Netzwerke (1998-2002) 269 10.1Contra-Positionen der Homo-Emanzipationsbewegungen270 10.2Pro-Positionen der Homo-Emanzipationsbewegungen278 10.3Öffentlichkeit und Presse283 11.Die Homo-Ehe im Diskurs II: Aushandlungsprozess und Parlamentarischer Weg (1998-2002)293 11.1Regierung und Akteurskonstellationen294 11.2Rechtsausschuss298 11.3Beratungen im Bundestag 307 12.Fazit318 13.Literatur 326
Schlagzeile
Politik der Geschlechterverhältnisse