Beschreibung
Wenn wir lesen, dass in Afghanistan deutsche Soldaten sterben, sind wir betroffen. Das Schicksal gleichzeitig getöteter ziviler Dorfbewohner bekümmert uns deutlich weniger. Der Krieg, so erklärt Judith Butler diese unterschiedliche Wahrnehmung, dient uns als Deutungsrahmen, nach dem einige Leben mehr wert sind als andere. Zugleich ist der Krieg nur möglich, weil weitere Rahmen oder Raster ("frames") den bewaffneten Konflikt als notwendig erscheinen lassen. Anhand der Themen Folter, Fotografie, Einwanderungs- und Sexualpolitik, Rassismus und moderne Kriegsführung macht Butler deutlich, welche Rahmen unsere Wahrnehmung auf welche Weise beeinflussen. Insbesondere sucht sie all diejenigen einzubeziehen, deren Leben im derzeit vorherrschenden westlichen Rahmen gar nicht oder nur als zu vernachlässigendes Leben vorkommt und deren Tod in diesem Rahmen kaum betrauert werden kann. Sie betont, dass alles Leben "prekär" ist, angewiesen auf Unterstützung und Hilfe - das Leugnen dieses ungeschützten, gefährdeten Lebens ist der erste Schritt auf dem Weg in den Krieg.
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Autorenportrait
Judith Butler, geb. 1956, ist Professorin für Rhetorik und Komparatistik an der University of California, Berkeley. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart und gilt als wichtigste Theoretikerin der Geschlechterforschung und Begründerin der Queer Theory. Ihre bekanntesten Bücher sind "Das Unbehagen der Geschlechter" (1991), "Körper von Gewicht" (1995) und "Kritik der ethischen Gewalt" (2007).
Leseprobe
Die fünf hier versammelten Essays sind vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Kriege entstanden und befassen sich vor allem mit der Art und Weise, wie affektive und ethische Haltungen durch eine ganz bestimmte Art der selektiven Rahmung [framing] von Gewalt kulturell in bestimmte Bahnen gelenkt werden. Das Buch knüpft in mancher Hinsicht an Precarious Life. The Powers of Mourning and Violence an (Verso 2004; dt. Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005); dies betrifft insbesondere meine These, dass spezifische Leben nur dann als beschädigt oder zerstört wahrgenommen werden können, wenn sie zuvor überhaupt als lebendig wahrgenommen worden sind. Wenn bestimmte Leben gar nicht als Leben gelten oder von Anfang an aus gewissen epistemologischen Rastern [frames] herausfallen, dann werden diese Leben im vollen Wortsinn niemals gelebt und auch niemals ausgelöscht. Zum einen geht es mir um das epistemologische Problem, das sich aus der Rahmung [framing] ergibt: Die Rahmen oder Raster [frames], mittels welcher wir das Leben anderer als zerstört oder beschädigt (und überhaupt als des Verlustes oder der Beschädigung fähig) wahrnehmen oder eben nicht wahrnehmen, sind politisch mitbestimmt. Sie sind ihrerseits schon das Ergebnis zielgerichteter Verfahren der Macht. Zwar entscheiden sie nicht allein über die Bedingungen der Wahrnehmbarkeit, aber es geht in ihnen doch um die Begrenzung der Sphäre des Erscheinens als solcher. Zum anderen stellt sich hier ein ontologisches Problem, denn es geht um die Frage: Was ist überhaupt ein Leben? Das "Sein" des Lebens selbst verdankt sich ganz bestimmten Vorentscheidungen; daher können wir von diesem "Sein" nicht sprechen, ohne von vornherein die Operationen der Macht im Blick zu haben, und wir müssen die spezifischen Mechanismen der Macht offen legen, durch welche Leben als solches erst hervorgebracht wird. Diese Einsicht hat ganz offensichtlich auch Folgen für unser Verständnis des Begriffs "Leben" in Zellbiologie und Neurowissenschaften, da diesen Wissenschaften ebenso wie den Debatten um Anfang und Ende des Lebens in der Abtreibungsfrage und in der Euthanasiefrage bereits bestimmte Arten der "Rahmensetzung" [framing] des Lebens zugrunde liegen. Meine Ausführungen mögen zwar Implikationen für diese Debatten mit sich bringen, jedoch geht es mir hier vorrangig um den Krieg, genauer um die Frage, wie und weshalb die Führung von Kriegen leichter oder auch schwieriger ist.
Inhalt
Inhalt Danksagung Einleitung: Gefährdetes Leben, betrauerbares Leben Kapitel 1: Überlebensfähigkeit, Verletzbarkeit, Affekt Kapitel 2: Folter und die Ethik der Fotografie - Denken mit Susan Sontag Kapitel 3: Sexualpolitik, Folter und säkulare Zeit Kapitel 4: Denkverweigerung im Namen des Normativen Kapitel 5: Der Anspruch auf Gewaltlosigkeit Anmerkungen
Schlagzeile
Wann ist ein Leben wertvoll?