Beschreibung
Hochmodernes Thema: die literarische Aufarbeitung der Frage nach der individuellen Verantwortung in Kriegszeiten Faulques, ein ehemaliger Kriegsfotograf, malt in einem alten Wehrturm an der Küste ein riesiges Schlachtengemälde. In diese Einsamkeit dringt eines Tages ein Besucher, der Kroate Markovic. Es stellt sich bald heraus, dass ihn ein Foto von Faulques vor vielen Jahren berühmt gemacht hat. Dieser Ruhm hat sich fürchterlich gegen ihn gewandt - und deswegen will er den Fotografen töten. Doch Faulques verwickelt den Mann in Gespräche über das Wesen des Krieges und begreift, dass er Schuld ganz anderer Art auf sich geladen hat. Der spanische Bestsellerautor beschreibt mit psychologischem Gespür das Ringen zweier Männer um Gut und Böse.
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Leseprobe
Wie jeden Morgen schwamm er einhundertfünfzig Stöße ins Meer hinaus und ebenso viele zurück, bis er die runden Uferkiesel unter den Füßen spürte. Er trocknete sich mit dem Handtuch ab, das an einem vom Meer angespülten Baumstamm hing. Er zog Hemd und Badeschuhe an und stieg den schmalen Pfad hoch, der sich an der kleinen Bucht bis zum Wachturm hinaufwand. Dort kochte er sich einen Kaffee und fing mit der Arbeit an. Er stellte Blau- und Grautöne zusammen, um die richtige Atmosphäre zu erzielen. In der Nacht - er schlief immer weniger, und der Schlaf war ein unruhiges Dahindämmern - hatte er beschlossen, dass er kalte Farbtöne brauchte, um den schwermütigen Rand des Horizonts zu begrenzen, wo eine verschleierte Helligkeit die Gestalten der am Meer laufenden Krieger hervortreten ließ. Das würde sie mit dem Licht einhüllen, das er vier Tage lang in den sich am Strand brechenden Wellen gespiegelt hatte, indem er leichte, sehr reine Tupfer Titanweiß auftrug. Deshalb mischte er Weiß, Blau und eine winzige Menge Natursiena in einem Glas, bis er das Ganze zu einem leuchtenden Blau abgeschwächt hatte. Danach machte er zwei Proben auf dem Backblech, das er als Palette benutzte. Er verschmierte die Mischung mit etwas Gelb, und den restlichen Vormittag arbeitete er ohne eine Pause. Schließlich klemmte er sich den Pinselstiel zwischen die Zähne und trat zurück, um die Wirkung zu prüfen. Himmel und Meer ergänzten sich nun harmonisch auf dem Wandbild, das den Turm innen überzog. Obwohl noch viel zu tun blieb, kündigte der Horizont schon eine sanfte, leicht verschwommene Linie an, die die Einsamkeit der verstreuten, sich im Regen entfernenden Männer - dunkler, mit metallischen Glanzlichtern gesprenkelter Striche - hervorheben würde. Er spülte die Pinsel mit Wasser und Seife ab und legte sie zum Trocknen hin. Von unten, vom Fuß des Kliffs, drangen das Motorengeräusch und die Musik des Touristenschiffs herauf, das jeden Tag zur gleichen Zeit an der Küste entlangfuhr. Ohne dass Andrés Faulques auf die Uhr schauen musste, wusste er, dass es ein Uhr nachmittags war. Wie gewöhnlich war die vom Bordlautsprecher verstärkte Frauenstimme zu hören. Sie wirkte noch lauter und deutlicher, als sich das Schiff vor der kleinen Bucht befand, denn nun gelangte der Ton des Lautsprechers zum Turm, ohne dass er auf andere Hindernisse als auf ein paar Pinien und Sträucher stieß, die sich trotz Erosion und Erdrutschen am Hang festklammerten. »Diese Bucht heißt Cala del Arráez, und sie diente berberischen Korsaren als Zufluchtsort. Auf dem Felsen können Sie einen alten Wachturm sehen, der am Anfang des 18. Jahrhunderts für den Küstenschutz erbaut wurde, um von dort aus die nächsten Ortschaften vor Überfällen der Sarazenen zu warnen.« Es war dieselbe Stimme wie jeden Tag: höflich und klar verständlich. Faulques stellte sich vor, die Sprecherin sei jung, sicherlich eine einheimische Reiseleiterin. Sie begleitete die Touristen während der dreistündigen Fahrt, die das Schiff - ein zwanzig Meter langer, blau-weiß angestrichener Küstendampfer mit Puerto Umbría als Anlegeplatz - von der Isla de los Ahorcados, der »Insel der Erhängten«, nach Cabo Malo, dem »Schlimmen Kap«, zurücklegte. In den letzten zwei Monaten hatte Faulques oben vom Kliff aus gesehen, wie das Schiff vorbeifuhr, während sich Leute mit Fotoapparaten und Videokameras an Bord drängten und sommerliche Musik aus den Lautsprechern dröhnte, die so laut war, dass es wie eine Erleichterung wirkte, wenn sie von der Frauenstimme unterbrochen wurde. »In diesem Wachturm, der lange Zeit leer stand, lebt jetzt ein bekannter Maler, der das Innere mit einem großen Wandgemälde ausschmückt. Leider ist der Turm Privateigentum, und Besuche sind nicht gestattet.« Diesmal sprach die Frau Spanisch, doch sonst benutzte sie auch Englisch, Italienisch oder Deutsch. Nur wenn die Passagiere Französisch hörten - vier- oder fünfmal in diesem Sommer -, übernahm das eine Männerstimme. Jedenfalls stand die Saison kurz vor Leseprobe