Beschreibung
Wir schreiben das Jahr 2020: Jenny Li, 29, Atomphysikerin und Ex-Model kanadisch-chinesischer Herkunft, kreist seit einem Monat in der "Magna Station" um die Erde. Die Mission dient Werbezwecken: Mit Hilfe eines ausfahrbaren Folienreflektors werden Konzernlogos auf den Nachthimmel über Europa und Nordamerika projiziert. Plötzlich gibt es Alarm: Der ausrangierte sowjetische Satellit "CCCP" hat Kurs auf die Raumstation genommen und droht sie zu zerstören. Eine hinreißende Satire und ein Weltraummärchen voll menschlicher und technischer Unzulänglichkeit.
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Homepage von Martin Amanshauser
Leseprobe
1 Viehböck im Fontana Park Der Reißverschluss seines Trainingsanzugs verklemmte sich und riss ein Büschel Brusthaare mit. Viehböck stieß einen Schrei aus. Früher waren solche Missgeschicke nie passiert. Vielleicht wuchsen die Brusthaare ab dem 60. Geburtstag stärker, um die natürliche Einbuße an Manneskraft auszugleichen. Ab sechzig befand man sich auf einer rasanten Talfahrt in Richtung Friedhof. Jugendliche mit Skateboards überließen einem in der Öffentlichkeit den Sitzplatz, die Blutwerte überstiegen die Toleranzgrenzen, das Körpergewebe wurde nachgiebig. Nur der Appetit auf ungesundes Zeug erlahmte nie. Er drückte Ketchup auf den Leberkäse. Die Substanz wurde aus Tomaten erzeugt, sie enthielt das eine oder andere Vitamin. Die Dämmerung fiel rasch über den Fontana Park, die Sonne versank in einer bauschigen Wolkenfront. Über Viehböcks Wangen geisterten die Lichtreflexe des Fernsehgeräts, das ohne Lautstärke lief. Er strich mit dem Finger über den Stoff des Trainingsanzugs, dort, wo er sich die Haare eingeklemmt hatte. Wäre Jenny Li nicht in einer konstanten Entfernung von 376 Kilometern über der Erdoberfläche in der Magna Station gekreist, hätte er beim Essen nie Freizeitkleidung getragen. Außerdem hätte er keinen Leberkäse gegessen, sondern etwas Grünes, was sie auch mochte. Der Trainingsanzug war bequem geschnitten, doch das hellblaue Logo mit der Aufschrift "Magna" verpatzte alles. Westenthaler hatte ihn eines Tages mit der für ihn typischen Fürsorge vor seine Haustür gelegt, zusammen mit einer dieser originellen Grußkarten, die beim Öffnen eine Melodie abspielten, "Show me the way to the next whisky bar", eine Anspielung auf Viehböcks Aufenthalt im Sanatorium Kalksburg - der Humor Westenthalers. Am Bildschirm erschien das selbstzufriedene Gesicht von Rogan. Seit Rogan trotz seiner technischen Unwissenheit für die Weltraummission zur Magna Station ausgewählt worden war, brachten die Sender pausenlos Portraits. Rogan als "Goldfisch" bei den Olympischen Spielen 2008, Rogan am Allgemeinen Krankenhaus in seiner neuen Karriere als Arbeitsmediziner und Internist, Rogan 2014 in der Schwerelosigkeit der privaten "Eternity Station", der ersten kommerziellen Raumstation der Geschichte, Rogan als Leiter der "Magna Health": Bilder eines Siegertypen, der seine Glückssträhne eloquent kommentierte und sympathisch relativierte. Und gerade dieser Rogan musste Jenny Li besuchen! Erst als Viehböck sein eigenes Gesicht am Bildschirm auftauchen sah, drückte er den Lautstärkebutton nach rechts. Er war selbstkritisch genug, um die Jämmerlichkeit seiner Auftritte zu analysieren. Sobald eine Kamera in die Nähe kam, schienen sich seine Tränensäcke aufzublasen, das Doppelkinn wurde zu einem Tripel- und Quadrupelkinn, unabhängig davon, wie hoch er den Kopf hielt. Hielt er ihn zu hoch - wie bei dieser Aufnahme - wirkte er arrogant. Die Flecken auf den Wangen und die dunkelrote Nase verrieten den Alkoholiker noch drei Jahre nach dem letzten Tropfen. Zudem war die Haut auf seiner hohen Stirn matt wie die einer Leiche. "Ich denke, die Mission wird ein Quantensprung für die Raumfahrt und für Magna", hörte Viehböck sein TV-Spiegelbild lügen. "Ich schätze Rogans Arbeit. Und falls Sie die persönliche Seite ansprechen: Er wird Jenny Li meine besten Grüße ausrichten!" Wie immer im Fernsehen klang sein Lachen metallisch. In den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte Viehböck hohe Beliebtheitswerte erreicht, davon war wenig übrig. Dazwischen lagen Katastrophen, LKW-Ladungen fettigen Fleischs, Seen scharfer Getränke. Viehböck war froh, dass er kaum mehr Lust auf Alkohol verspürte. Die wahren Versuchungen begannen jedoch erst, wenn man überzeugt war, sie hinter sich zu haben. Er schaltete die Tischlampe ein und litt, weil dieser Bürokrat im labbrigen Lacoste-Shirt über dem Insert "Viehböck, Leiter der Magna Space School", nicht vom Fernseher verschwand. Viele meinten, er habe eine Frau wie Jenny Li nicht verdient, und er selbst war geneigt, sich Leseprobe