Beschreibung
Franz Schuh ist Essayist, Philosoph und glänzender Interpret eigener Texte. Er gehört zu den wichtigsten österreichischen Schriftstellern. Nach einer Hand voll Büchern, darunter ein Wien-Roman und Aufsätze zur Literatur, erscheint nun, was Franz Schuh als sein Hauptwerk bezeichnet: "Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche" besteht aus einem bunten Gemisch von Selbstgesprächen, Erzählungen, Notaten und dokumentarischen Skizzen, von echten und fingierten Bekenntnissen, von phantasierten Visionen und skurrilen bis rührenden Reflexionen über Liebe, Glück und Sinnlosigkeit. Franz Schuhs Aufzeichnungen sind euphorisch-melancholische Grenzgänge, die das Durcheinander der Welt nicht beseitigen, sondern ihm auf einzigartige Weise Glanz verleihen.
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Autorenportrait
Franz Schuh, geboren 1947 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und Kolumnist für Zeitschriften und Rundfunkstationen. Er erhielt u.a. 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2011 den Österreichischen Kunstpreis und 2021 den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Bei Zsolnay erschienen zuletzt Sämtliche Leidenschaften (2014), Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks (2017) und Lachen und Sterben (2021).
Leseprobe
Das Beisl im Eck. Als ich damals den berühmten französischen Philosophen und Psychoanalytiker Jacques Lacan durch Wien führte (ich zeigte ihm alle wichtigen Freud-Gedenkstätten, einschließlich des Wohnhauses von Leupold-Löwenthal und etwas vom Rest, den es darüber hinaus in Wien noch zu sehen gibt), da ereignete sich Seltsames mit dem berühmten Mann aus Frankreich. Kurz vor seinem Abflug - Kapitäne exotischer Linien, heimisches Bodenpersonal, Passagiere aus aller Herren Länder eilten an uns vorüber - nahmen wir im Flughafenrestaurant einen heißen Tee. Der Beutel schwabbelte übel in der braunen Brühe. War ein Teebeutel das Motiv der Inspiration? Jedenfalls schnellte der Analytiker plötzlich hoch und rief, wie vom Schicksal gebeutelt oder vom Schlag getroffen: 'Le Beisl n'existe pas!' Ich war peinlich berührt, wie ich es immer bin, wenn jemand aus sich herausgeht. Ich achte darauf, daß die Menschen bei sich bleiben und mich vor ihrem wahren Wesen, vor ihren Einfällen und Eruptionen beschützen. Aber wenn ein geistiger Mensch, ein Psychiater, sich so weit vergißt, daß er einen Satz unvermutet herausbrüllt, dann ist es unmöglich, diesem Satz gegenüber Widerstand zu leisten. Er blieb mir im Gedächtnis, und noch im Flughafenschallplattengeschäft erstand ich eine Kassette, auf der Peter Alexander sang: 'Das kleine Beisl in unserer Straße', ein Chanson, das es auch in gesamtdeutscher Sprache gibt: 'Die kleine Kneipe in unserer Straße'. Die Kassette schickte ich gleich vom Flughafenpostamt an Jacques Lacan, und ich gebe zu, daß ich damit dem großen Mann, wie man bei uns sagt, 'eins auswischen' wollte. Ich stellte mir Lacan, dem wir immerhin eine neue Grundlegung der Psychoanalyse zu verdanken haben, vor, wie er in seinem Pariser Domizil diese zutiefst deutsch-österreichischen Klänge eines Peter Alexander auf sich einwirken ließ. Das konnte ihm, auch wenn ihm die schreckliche Rhetorik des Unbewußten kein Geheimnis mehr bot, nicht gut tun. Diese ungesund triefenden Töne, dieses schmierige Schmalz, mit dem sich Peter der Große, wie er hier genannt wird, die Butter aufs Brot verdient, mußte sogar einen Lacan entsetzen. Aber ich hatte gleichsam die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Lacans Antwort erfolgte postwendend. An einem dieser strahlenden Morgen, an denen die Sonne den Flur meines Gemeindebaus paradiesisch erhellt, zog ich aus meinem Postkasten eine Pariser Ansichtskarte. Darauf war der Eiffelturm in voller, glänzender Banalität zu erkennen, auch wenn ihn der Absender mit zwei einander überkreuzenden Filzstiftstrichen unsichtbar machen wollte. Am Textteil der Karte stand in der mir gut bekannten Schrift: 'Le Beisl n'existe pas. Jacques Lacan.' Also sollte ich selber darauf kommen, der Mann gab den Schwarzen Peter an mich weiter. Es ist aber unerträglich, wenn jemand, den man für überlegen hält, sich weigert, Aufschluß zu geben. Ich gestehe, darunter hat mein gutes Verhältnis zu dem mittlerweile schon Seligen sehr gelitten. Es kam zum Bruch. Nur schwer kann ich heute ohne Verachtung Sätze wie 'Je pense oø je ne suis pas, donc je suis oø je ne pense pas' lesen, obwohl es mir, und das ist doch merkwürdig, tatsächlich so geht: 'Ich denke da, wo ich nicht bin, also bin ich da, wo ich nicht denke.' Mein Vater war Ringer, das heißt, er ging am Sonntag immer ringen, und zwar ins Gasthaus Maderl. Mein Vater hielt mich an der Hand, stellte sich an die Theke, trank ein wenig vom Seidel, während Maderl, der Wirt, bereits unruhig wurde; er wußte ja von vielen Sonntagen her, was kommen mußte. Da ich noch klein war, hatte ich nicht den Überblick, aber wenn mein Vater meine Hand losließ, war es wieder soweit. Gleich rang er irgendeinen Gast nieder, der frech geworden war. 'Soll ich mir ein altes Gwand anziehen', hatte zum Beispiel einer einmal gesagt, nachdem ihn mein Vater eindringlich gemustert, also auf seine Eignung für den Kampf geprüft hatte. Der Mann hatte danach immer noch sein neues Gewand an, das aber so gut war wie ein altes, wie Leseprobe