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Der Prophet

Erschienen am 14.04.2014
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783492304818
Sprache: Deutsch
Umfang: 128 S.
Format (T/L/B): 1.3 x 15.4 x 9.5 cm
Einband: Leinen

Beschreibung

Eine Stadt im Orient: Der Prophet al-Mustafa erwartet das Schiff, das ihn in seine Heimat zurückbringen wird. Bevor er sie verlässt, bitten ihn die Einwohner von Orfalîs, ein letztes Mal zu ihnen zu sprechen: von Liebe, Schmerz, Schönheit, Freude und allem anderen, was die Menschen bewegt. Die Antworten des Propheten sind voller Lebensweisheit und mystischer Tiefe und zählen zum Faszinierendsten, was die spirituelle Literatur hervorgebracht hat.

Autorenportrait

Khalil Gibran, 1883 im Libanon geboren, emigrierte nach Wanderjahren in Europa 1910 in die USA, wo er sich als Maler und Dichter vor allem der Erneuerung der arabischen Literatur und der Versöhnung der Kulturen widmete. 1923 veröffentlichte er auf Englisch sein berühmtestes Buch 'Der Prophet'. Khalil Gibran starb 1931.

Leseprobe

Die Ankunft des Schiffes Zwölf Jahre hatte Almustafa, der Auserwählte und Geliebte, ein Morgenlicht seiner Zeit, in der Stadt Orfalis auf die Ankunft seines Schiffes gewartet, das zurückkehren und ihn wieder auf die Insel seiner Geburt führen sollte. Dann, im zwölften Jahr, am siebten Tag des Erntemonats Jelul, erstieg er den Hügel außerhalb der Stadtmauern, schaute seewärts und erblickte sein Schiff, das der Nebel herantrug. Da flogen die Tore seines Herzens auf, und seine Freude strömte weit über das Meer. Er schloss die Augen und betete in der Stille seiner Seele.     Doch als er den Hügel hinabstieg, überkam ihn Trauer, und er dachte bei sich: 'Wie soll ich in Frieden und ohne Kummer scheiden? Nein, nicht ohne eine Wunde in meiner Seele werde ich diese Stadt verlassen. Lang waren die leidvollen Tage, die ich in ihren Mauern verbracht habe, und lang die einsamen Nächte; und wer lässt schon ohne Bedauern seinen Schmerz und seine Einsamkeit hinter sich? Zu viele Splitter des Geistes habe ich in diesen Straßen verstreut, zu zahlreich sind die Kinder meiner Sehnsucht, die nackt zwischen diesen Hügeln wandeln, als dass die Trennung mir nicht eine Bürde und Pein wäre. Nicht ein Gewand werfe ich heute ab, sondern eine Haut, die ich mir mit meiner eigenen Hand herunterreiße. Nicht einen bloßen Gedanken lasse ich hinter mir, sondern ein Herz, das erst Hunger und Durst mit Süße erfüllt haben.     Doch ich darf nicht mehr zaudern. Der Ozean, der alle Dinge zu sich zieht, ruft nach mir, und ich muss mich einschiffen. Denn zu bleiben hieße erfrieren; hieße zu Kristall erstarren und an eine Form gefesselt zu sein, wenngleich die Nachtstunden brennen. Könnte ich doch alles, was hier ist, mit mir nehmen. Doch wie wäre das möglich? Eine Stimme vermag die Zunge und Lippen, die ihr Flügel verliehen, nicht mit sich zu tragen. Allein muss sie die Lüfte suchen. Allein und ohne sein Nest wird der Adler zur Sonne aufsteigen.'     Als er nun den Fuß des Hügels erreichte, wandte er sich zum Meer. Er sah, wie sein Schiff sich dem Hafen näherte, an dessen Bug Matrosen standen, Männer aus seinem eigenen Land.   Und seine Seele rief sie an, und er sprach: 'Söhne meiner uralten Mutter, ihr Bezwinger der Gezeiten, Wie oft seid ihr in meine Träume gesegelt. Und nun tretet ihr in mein Erwachen zu mir, das mir ein tieferer Traum ist. Bereit bin ich zum Aufbruch, und meine Un­geduld erwartet unter gesetzten Segeln den Wind. Nur noch ein Atemzug in dieser stillen Luft, und noch ein Blick zurück voller Liebe, und dann bin ich unter euch, ein Seefahrer unter seinesgleichen. Und du, weite See, schlafende Mutter, Die allein dem Fluss und dem Strom Frieden und Freiheit schenkt. Nur eine Biegung will dies Wasser hier noch beschreiben, nur noch einmal durch diese Lichtung murmeln, Dann komme ich zu dir, ein unendlicher Tropfen zu einem grenzenlosen Ozean.'   Wie er so einherging, sah er aus der Ferne, dass Männer und Frauen ihre Felder und Weingärten verließen und zu den Stadttoren eilten. Und er hörte, wie sie seinen Namen schrien, sich von Feld zu Feld anriefen und einander von der Ankunft seines Schiffes berichteten.   Da sagte er bei sich: 'Sollte der Tag des Abschieds zum Tag werden, an dem wir uns finden? Wäre es möglich, dass mein Abendschein in Wahrheit mein Morgenrot ist? Aber was habe ich dem zu geben, der seinen Pflug auf der Hälfte der Furche verlassen hat, oder dem, der das Rad seiner Weinkelter anhielt? Soll mein Herz zu einem Baum werden, schwer beladen mit Früchten, die ich pflücken und wegschenken kann? Oder meine Sehnsucht strömen wie ein Quell, auf dass ich ihre Becher fülle? Bin ich denn eine Harfe, dass die Hand des Höchsten mich spielen, oder eine Flöte, dass Sein Atem durch mich fließen könnte? Ein Suchender der Stille bin ich. Aber habe ich denn in der Stille einen Schatz gefunden, den ich mit Zuversicht herschenken könnte? Wenn dies der Tag ist, an dem ich meine Ernte einbringe, auf welchen Feldern h

Schlagzeile

Wie Samen, die unter der Schneedecke träumen, träumen eure Herzen.