Beschreibung
Das Museumsdorf in der Nähe von Memmingen bereitet sich auf einen anstrengenden Sonntag vor. Zahlreiche Vorführungen sollen vor allem Familien anlocken. Am Vorabend macht Museumspädagoge Ulrich Stadler bei seinem letzten Rundgang eine schauerliche Entdeckung: Im alten Uttenhof sitzen drei sehr lebensecht wirkende Figuren um den Esstisch. Erst fällt ihm nur auf, dass die Gestalten für das Ambiente zu modern gekleidet sind - dann sieht er das Blut am Boden.
Autorenportrait
Jürgen Seibold, 1960 geboren, lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stuttgart. Er ist gelernter Journalist und arbeitet als Schriftsteller. 'Gnadenhof' ist nach dem erfolgreichen Serienstart mit 'Rosskur' sein zweiter Allgäu-Krimi.
Leseprobe
Samstag, 31. Mai Es war schon nach halb sieben, als die letzten Besucher das Gelände verließen. Ulrich Stadler sah den Senioren nach, die schwatzend und lachend auf dem Weg zum Parkplatz waren. Morgen würde das Publikum deutlich jünger ausfallen. Dann war Familiensonntag im Bauernhofmuseum Illerbeuren, und die Aktionen, Spiele und Vorführungen würden vor allem Eltern mit kleinen Kindern anlocken. Stadler sah in den Himmel: Auch das Wetter würde wohl mitspielen. Für Memmingen und Umgebung war ein prächtiger Frühsommertag vorhergesagt, und das blaue, nur hier und da mit weißen Wölkchen betupfte Firmament schien die Prognose zu bestätigen. Er ließ seinen Blick über die umstehenden Gebäude schweifen, dann wandte er sich dem Gromerhof zu, in dem eines der Museumsgasthäuser eingerichtet war. Im Biergarten halfen seine Kollegen einer Kellnerin, einige Tische zu einer großen Tafel zusammenzuschieben. Stadler packte mit an, damit ihnen die Bedienung möglichst bald die gefüllten Gläser bringen konnte. Mit einem frischen Weißbier würde sich die Abschlussbesprechung schon fast wie Feierabend anfühlen. Die Gestalt, die sich an das Fachwerk des großen Zehentstadels drückte und aufmerksam um die Ecke lugte, sah sich noch einmal um, aber im Museumsdorf schien nun niemand mehr unterwegs zu sein. Höchste Zeit, die Sache zu ihrem Ende zu bringen. 'Na ja', sagte Tom Schaber leichthin und zuckte mit den Schultern. 'Frechenrieden ist zwar nicht gerade der beste Standort für ein Elektrogeschäft, aber was soll's? Mein Vater war halt hier Elektriker.' Lachend deutete er auf den knallbunten Prospekt des Memminger Großhändlers, der ihm eben aus der Tageszeitung gerutscht war. 'Immerhin hab ich hier im Dorf keine solche Konkurrenz!' Resi und Hansen saßen im Garten und unterhielten sich prächtig mit Tanja und Tom Schaber, Resis bester Freundin und ihrem Mann. Die Sonne überzog nur noch einen kleinen Teil des Gartens mit sattem Gelb, der Rest lag schon im Schatten, aber die Luft war noch so warm, dass sie sich das Abendessen draußen schmecken lassen konnten. Seit fast einem Jahr leitete Eike Hansen nun schon das Kommissariat 1 der Kripo Kempten, und gleich durch den ersten Fall hatte er Resi Meyer kennengelernt, die als Rechtsmedizinerin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität arbeitete. Sie war gerade zu Besuch bei ihren Eltern in Roßhaupten gewesen, als nach dem Mord an einem Lechbrucker Pferdezüchter jemand gebraucht wurde, der sich das Opfer ansah und es später obduzierte. Diesem Umstand hatte Hansen in den vergangenen Monaten ein unverhofft schönes Privatleben zu verdanken, auch wenn Resi die eine oder andere Nacht ihren Eltern zuliebe nicht in Hansens gemietetem Bauernhaus am Füssener Stadtrand, sondern in Roßhaupten verbracht hatte. Sogar seiner in Hannover gebliebenen Frau, die noch nicht so recht in die Scheidung einwilligen wollte, war aufgefallen, dass Hansen schon in seinem ersten Sommer im Allgäu aufgeräumter und fröhlicher wirkte als die Jahre zuvor. Er nahm ein Stück Käse, hörte den anderen zu und betrachtete versonnen seine Freundin. Resi war groß und schlank und trug wie meistens Jeans und Karohemd. Ihre kurz geschorenen Haare waren weißblond und bildeten einen starken Kontrast zu ihrer sonnengebräunten Haut, und ihre blauen Augen funkelten hinter einer randlosen Brille. Resi war im Reinen mit sich und der Welt. Sie schminkte morgens keine Falten weg, und ihre Frisur war dann gelungen, wenn sie sich nur schnell mit feuchten Fingern durch die Stoppeln fahren musste, um das Haus hinreichend gestylt verlassen zu können. Nur eines mochte sie überhaupt nicht an sich: ihren Vornamen Therese, den deshalb allenfalls ihr Vater ungestraft aussprechen durfte, wenn er seine Tochter mal wegen einer allzu flapsigen Bemerkung tadelte. Jetzt lachte sie gerade herzlich über eine Anekdote, die Tom zum Besten gab, und Hansen musste schmunzeln, als er sah, wie Resis ganzes Gesicht mitlachte und ihre Augenfältchen noch ein wenig tiefer wurd
Schlagzeile
Ein Niedersachse im Allgäu - der zweite Fall für Eike Hansen