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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446205307
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Spencer C. Spencer, Professor der Philosophie und im Büro des Dekans tätig, ist geflohen. In einer heruntergekommenen Pension am Rande der Wüste notiert er die unerhörten Begebenheiten der letzten Jahre. Es geht um Mary Elizabeth, die einen modernen Faust schreiben will, um verschwundene Schriftsteller, um erhängte Universitätspräsidenten und um Leben und Tod. Ein philosophischer Thriller: spannend, intelligent und komisch.

Autorenportrait

Lars Gustafsson (1936-2016) war einer der bedeutendsten Autoren Schwedens. Der Romancier, Lyriker und Philosoph lebte und lehrte lange Zeit im Ausland, u.a. an der University of Texas in Austin. Hinzu kamen mehrere Forschungsaufenthalte in Berlin, Bielefeld und Tübingen. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, 2009 erhielt er die Goethe-Medaille, 2015 wurde ihm der Thomas-Mann-Preis verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Der Dekan (Roman, 2004), Risse in der Mauer (Fünf Romane, 2006), Die Sonntage des amerikanischen Mädchens (Eine Verserzählung, 2008), Frau Sorgedahls schöne weiße Arme (Roman, 2009), Alles, was man braucht. Ein Handbuch für das Leben (mit Agneta Blomqvist, 2010), Das Lächeln der Mittsommernacht. Bilder aus Schweden (mit Agneta Blomqvist, 2013),  Der Mann auf dem blauen Fahrrad (Roman, 2013), der Gedichtband Das Feuer und die Töchter (2014) und Doktor Wassers Rezept (Roman, 2016).  

Leseprobe

Diese Welt, von einer anderen aus gesehen Die Zeit vergeht. Ja, die Zeit vergeht. Seit einigen Wochen lebe ich nun hier, gerade wo die Wüste anfängt, außerhalb von Sturdy Batte. Wie viele es schon sind, weiß ich nicht genau. Ich war zu sehr mit Dingen beschäftigt, die wichtiger waren, aber dem Besitzer der Pension, Archibald Primrose, Kunstmaler und Gesamtkünstler, merke ich an, daß er allmählich ein wenig argwöhnisch wird. Er möchte wissen, ob ich meinen Auftrag ernst genug nehme. Er meint, meine Ausflüge in diese Mondlandschaft seien nicht ausgedehnt genug für einen wirklich effektiven Universitätsgeologen. Und das bin ich ja auch nicht. Um den Schein zu wahren, habe ich ihm gesagt, meine Arbeit befinde sich gerade in einer theoretischen Phase. Ich würde versuchen, für die synklinalen Bewegungen, aus denen die Chisosberge entstanden sind, einen Algorithmus zu entwickeln, genauer gesagt ein Integral. Ich danke Gott, daß er heute morgen beim Frühstück (das tatsächlich ganz hervorragend ist, das Verdienst seiner Ehefrau) einer ausgiebigen Befragung durch einen anderen Gast ausgesetzt war. Natürlich könnte das Mißgeschick eintreffen, daß eines Morgens ein echter Geologieprofessor von der University of Texas auftaucht, mit einer Busladung von Doktoranden und Assistenten. Das würde meinen Einfallsreichtum auf eine harte Probe stellen. An diesem Morgen begnügte sich Mr. Primrose mit meiner Erklärung der synklinalen Entwicklungen und der Möglichkeit, sie in Integralgleichungen höheren Typs wiederzugeben. Aber er bat - im gleichen Atemzug - um die Miete der letzten zwei Wochen plus einer als Vorauszahlung. Hat er einen Verdacht, oder ist er wirklich so knapp bei Kasse? Aus verschiedenen technischen Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen will, benutze ich immer noch nicht meine Visakarte, ebensowenig wie meine Mastercard. Statt dessen habe ich ein dickes Bündel Banknoten da-bei; an jenem hektischen Nachmittag habe ich mein nicht allzu fettes Bankkonto geplündert. Was für ein hektischer Nachmittag, fragt ihr. Jener Nachmittag. Als ich beschloß, die Fragen hinter mir zu lassen. Als ich von Austin aufbrach. Als ich die Dinge selbst in die Hand nahm. Als ich den Stier bei den Hörnern packte. Also wird Mr. Primrose mit Banknoten bezahlt. Das ist ja heutzutage etwas ungewöhnlich. Aber anscheinend findet auch mein Wirt, daß es so am sichersten ist. Er hat sich nicht beklagt. Er wirkte nicht einmal erstaunt. Vielleicht kommt das hier draußen öfter vor, am Rand der Wüste? Vielleicht ist er Gäste wie mich gewöhnt? Nein, das ist nicht wahr. Die allermeisten sind Touristen, hauptsächlich ältere Paare, Pensionäre, die hierherkommen, um, bevor sie sterben, die exklusiveren, die freieren, die einsameren und größeren Teile des Kontinents zu sehen, auf dem sie in Büros und Werkstätten gelebt haben. Ich bin wohl doch der einzige meiner Art. Ich habe angedeutet, daß ich noch für eine kürzere Zeit bleiben werde. Mr. Primrose hat das zur Kenntnis genommen. Ich möchte wissen, ob er mir meine geologischen Erklärungen für meine Vorhaben an diesem Ort wirklich abnimmt, oder ob er nur so tut. * Mein Gebiet war die sogenannte Philosophie der Neuzeit. Beginnend mit Descartes also, und meine Dissertation beschäftigte sich mit Condillac. Abbe Etienne Bonnot de Condillac. Ich bin ziemlich früh an die Philosophen der französischen Aufklärung geraten, diese Atheisten und Libertins. Das erschien mir als geeigneter Kompromiß zwischen der Antike und der allermodernsten Philosophie, die mich abstieß, entweder durch ihre pedantische Weigerung, sich mit Fragen der Moral und Politik zu befassen, wie der angelsächsische Empirismus, oder durch ihre totale Unbegreiflichkeit wie bei Sartre, Deleuze, Derrida und wie sie nun alle heißen. Ja, gibt es eigentlich einen Grund dafür, daß ein so bleicher und magerer rothaariger Typ wie Doktor Spencer sich seit Wochen in dieser bescheidenen Wüstenpension aufhält? Mr. ... Leseprobe