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Francesco Petrarca

Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts

Erschienen am 08.09.2003
45,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446203822
Sprache: Deutsch
Umfang: 976 S., 12 s/w Illustr., 17 farbige Illustr.
Format (T/L/B): 4.9 x 22.9 x 15.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die große, umfassende Studie über Leben und Werk Petrarcas. Vor fast 700 Jahren hat der rastlos tätige Dichter, Schriftsteller und Publizist mit seinem Denken und Handeln entscheidend seine Zeit geprägt, so dass die vorliegende Biographie - mit vielen bisher unübersetzten Werken - als Schlüssel zum Verständnis des 14. Jahrhunderts dient. Schon jetzt darf dieses Buch als ein Standardwerk gelten.

Autorenportrait

Karlheinz Stierle, 1936 geboren, ist emeritierter Professor für Romanische Literaturen an der Universität Konstanz. Bei Hanser erschienen "Der Mythos von Paris" (Zeichen und Bewusstsein der Stadt, 1993), "Petrarca" (Fragmente eines Selbstentwurfs, 1998), "Francesco Petrarca" (Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, 2003) und "Zeit und Werk. Prousts 'A la Recherche du Temps perdu' und Dantes 'Commedia'" (2008). Im Frühjahr 2016 erscheint "Pariser Prismen. Zeichen und Bilder der Stadt".

Leseprobe

Francesco Petrarca ist ein Genie der Anfänge. Er steht im Frühlicht der Neuzeit als eine singuläre Gestalt. In seinen Briefsammlungen, deren Bedeutung sich nur mit der von Montaignes Essais vergleichen läßt, in seinen italienischen Gedichten, die zum Ursprung des großen Stroms der neuzeitlichen Lyrik in Europa wurden, in der durchdringenden Selbstbefragung seines Secretum, in seinen großen geistespolitischen Demarchen, die ihn mit den Mächtigen seiner Zeit in nahe, oft vertraute Verbindung brachten, spiegelt sich das hellste Bewußtsein seiner Epoche. Wie nach ihm später Erasmus und Voltaire ist Petrarca eine eigene Großmacht des Geistes im Europa des 14. Jahrhunderts. Die Figur des europäischen Intellektuellen hat in ihm ihr Urbild. Petrarca überschaut aus eigener Erfahrung als unermüdlicher Reisender das ganze Europa seiner Zeit, sein Studium, das ihm zur Lebensform wurde, führt ihn zurück bis zu den fernen Anfängen Roms und Griechenlands, aber zugleich hat er den feinsten Sinn für die vorwärtstreibenden Tendenzen seiner Gegenwart, denen er oft ihre erste Gestalt gab. [ ... ]

Petrarcas geistige Existenz steht im Zeichen einer Vielzahl von Rollen, Erfahrungen und Bestrebungen. Keines seiner Werke hat er je zum Abschluß gebracht, ja, die Unabschließbarkeit ist ihre wesentliche Signatur. Früh schon beginnt Petrarca mit seinen literarischen Projekten, an denen er gleichzeitig immer weiter arbeitet und feilt. Sein Gesamtwerk ist ebenso bis zum letzten Augenblick ein work in progress wie jedes einzelne seiner Werke. Die Vielfältigkeit einer offenen, von keiner essentiellen Seinsordnung mehr umgriffenen Welt ist bei Petrarca im Vergleich zu Dante eine grundsätzlich neue Erfahrungsdimension6. Steht Dantes Commedia noch im Zeichen einer prinzipiellen Vertikalität der Welt, wie sehr Dantes Fragen auch schon beunruhigt ist von der Schreckensvorstellung einer kontingenten Welt, so ist Petrarcas Welterfahrung die einer prinzipiellen Horizontalität und in eins damit einer sich ins Unabsehbare ausweitenden Vielfalt innerweltlicher Verweisungen. Daher auch kann die Offenheit der Landschaft bei ihm zu einer neuen wesentlichen Dimension des In-der-Welt-Seins werden. Horizontalität der Welt und Unabschließbarkeit der Erfahrung werden zur Bedingung einer Schreibart im Zeichen des Fragments. Petrarca, der dem lateinischen fragmentum selbst erst seinen neuzeitlichen Sinn gegeben hat, ist der erste große Fragmentist, dem das Fragment zur Denkform wurde und der damit die große Linie eröffnet, die zu Montaignes Essais wie zu Goethes 'Bruchstücken einer großen Confession' führt. Von nun an wird die moderne Kunst und Dichtung in unauflösbarem Widerspruch zwischen einer den Punkt ihrer Vollkommenheit anstrebenden Kunst und einer reflexiven Kunst stehen, die die Uneinlösbarkeit dieses Anspruchs zu ihrer Voraussetzung macht und im Fragmentarischen und in der Selbstentzweiung ein Maximum an ästhetischer und reflexiver Intensität anstrebt.

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Sieht Petrarca sich diesseits der Epochenschwelle, deren Heraufkunft er selbst mit seinem Werk befördern will, so hat der Humanismus des 16. Jahrhunderts, der sich jetzt schon jenseits der Epochenschwelle sieht, Petrarca gleichsam auf seine Seite herübergeholt. Der Humanismus des 16. Jahrhunderts schafft erst eigentlich das Epochenstereotyp einer dunklen Zeit des Mittelalters, der er sich entronnen weiß9. Bei Petrarca ist das Konzept des dunklen medium aevum noch in erster Linie politisch und kulturpolitisch motiviert. Dagegen dient die Auffassung vom dunklen Mittelalter dem 16. Jahrhundert vor allem der epochalen Markierung eines neuen Kulturbewußtseins, das sich als die Wiedergeburt der Antike versteht oder mißversteht. Je dunkler jetzt aber das aus dem Kulturgedächtnis ausgelöschte oder auszulöschende Mittelalter erscheint, desto heller steht vor diesem Hintergrund die Ges ... Leseprobe