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Irrtum ausgeschlossen

Geschichten zwischen gestern und morgen

Erschienen am 04.03.2006
19,90 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446199125
Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In diesem Band sind die berühmtesten sowie die neuesten Texte Günter Kunerts vereinigt: Neben Bekanntem und Beliebtem wie 'Die Beerdigung findet in aller Stille statt' und 'Der Hai' findet sich Autobiographisches sowie zahlreiche neue und unbekannte Erzählungen. Alle haben eines gemeinsam: Sie spiegeln lebendig Günter Kunerts pointierten, bösartigen und immer ungeheuer komischen Erzählstil wieder.

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Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
info@hanser.de
Kolbergerstr. 22
DE 81679 München

Autorenportrait

Günter Kunert, 1929 in Berlin geboren, lebt bei Itzehoe. Seit 1963 erscheinen seine Werke bei Hanser; zuletzt: Nachtvorstellung (Gedichte, 1999), Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast (Aufzeichnungen, 2004), Irrtum ausgeschlossen (Erzählungen, 2006), Auskunft für den Notfall (2008), Als das Leben umsonst war (Gedichte, 2009), Tröstliche Katastrophen (Aufzeichnungen 1999-2011, 2013), Fortgesetztes Vermächtnis (Gedichte, 2014), Erwachsenenspiele (Erinnerungen, 2015), Vertrackte Affären (Geschichten, 2016) und Aus meinem Schattenreich (Gedichte, 2018). Kunert wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet.

Leseprobe

Tatort Gehen Sie doch weiter. Sie sehen doch, daß es hier nichts zu sehen gibt. Es ist alles vorbei. Seit fünfundzwanzig Jahren wohne ich in dieser Straße. Niemand kann mir untersagen, hier auf dem Pflaster zu stehen. Das ist mein gutes Recht. Ich lasse mich nicht wegjagen, ich bin kein Hund, verstanden. Und außerdem habe ich Herrn Troimann auch gekannt. Sogar gesprochen, verstehen Sie?! Es ist mein Recht, auf Herrn Troimann zu warten. Herr Troimann ist tot, da können Sie lange warten. Der kommt mit den Füßen nach vorne. Haben Sie das gehört, mit den Füßen nach vorne, hat er gesagt. Die Verrohung der Polizei ist unbegreiflich. Dein Freund und Helfer, das war mal. Vergessen Sie nicht den schweren Dienst dieser Leute, unterbezahlt, viele Überstunden, da kann einem schon das Lachen vergehen. Es ist ja auch kein Anlaß zum Lachen, der Tod eines Menschen. Ich möchte wissen, wie er umgekommen ist, das ist doch ein völlig undurchsichtiger Fall. Geiselnahme, ja, ich weiß, einProblem, die Befreiung. Wußten Sie nicht, daß die Polizei die Wohnung gestürmt hat? Nein, das ist mir neu. Ich bin erst eben dazugekommen. Was ist denn geschehen? Herr Troimann ist auf dem Balkon da drüben erschienen und hat um Hilfe gerufen. Dann ist er wieder in der Wohnung verschwunden. Gleich darauf betrat der Geiselnehmer den Balkon, ein Kerl mit einer Strumpfmaske. Nein, keine Stumpfmaske, eine Wollmaske, Skifahrer tragen sowas. Nur Mund und Augen sind sichtbar, wie in einer schwarzen Kugel, unheimlich, die Öffnungen sind rotgerändert, schrecklich. Und dann? Was hat er gemacht? Hat er Forderungen gestellt? War er bewaffnet? Ja, er hielt etwas in der Hand, leider unidentifizierbar. Könnte es eine Handgranate gewesen sein? Apfelgroß sind die Dinger, olivfarben, man zieht den Sicherungsstift heraus, und sobald man sie losläßt, springt die Feder auf und dann hat man die Bescherung. Haben Sie es gesehen? Ich stand zu weit weg. Er verschwand ja auch sofort wieder im Zimmer. Herr Troimann ist dann nicht mehr aufgetaucht. Entschuldigen Sie, ich wohne erst kurze Zeit dem Hause gegenüber - wer ist Herr Troimann? Da, im zweiten Stock wohnt er. Man konnte ihn fast täglich treffen, schon ein älterer Mann, gebeugt, graues Haar, wirres Haar, wenn Sie mich fragen, das gab ihm etwas Unsolides, nicht wie bei anderen älteren Herren in der Gegend. Er trug auch stets einen Mantel, immer zugeknöpft, und ein Einkaufsnetz, wer besitzt heute noch sowas, da sieht man doch auf den ersten Blick alles Eingekaufte, er ging langsam, Schritt für Schritt, hier entlang, bog dann dahinten um die Ecke, und manchmal kam er erst nach Stunden wieder, jedenfalls hatte man diesen Eindruck, wahrscheinlich durch seine Langsamkeit hervorgerufen. Man fühlte sich immer an eine Schnecke erinnert. Übrigens trug er auch eine Brille. Ich kann mich nicht an eine Brille erinnern. Doch, doch, ich bin ganz sicher, eine Brille, dunkles Gestell, er sah damit aus wie eine Eule, wenn er einen anschaute, ganz eigentümlich intensiv oftmals, so daß man selber durch seine Augen zur Eigenbewegung des Kopfes gezwungen wurde, man vollführte noch eine leichte Drehung, weil einen diese Augen nicht losließen. Nun hat er sie für immer geschlossen. Ist es denn in der Wohnung zu einer Schießerei gekommen? Der Geiselnehmer soll ebenfalls getötet worden sein. Finaler Rettungsschuß. Rettungsschuß? Daß ich nicht lache. Der arme Troimann ist doch tot, was wäre da noch zu retten. Ja, mein Lieber, eine Geiselnahme ist eben immer mit der Gefahr für Leib und Leben der Geisel verbunden. Daß sie die Geiselnehmer abknallen, ist nicht mehr als recht und billig. Diese Verbrecher sollten, falls sie überleben, gleich an Ort und Stelle erledigt werden. Wie können Sie so etwas sagen?! Das ist doch unmenschlich, dafür ist die Justiz zuständig. Die Justiz? Die schickt doch solche Lumpen gleich wieder nach Hause. Bewährung, Strafaufschub, Freigang, damit sie ihre nächste Untat verüben können. Abknallen! Jetzt ist ... Leseprobe

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