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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442738946
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., 1 s/w Illustr.
Format (T/L/B): 1.8 x 18.5 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Ein Haus an einem märkischen See - und wie ein ganzes Jahrhundert in ihm wütetEin Haus an einem märkischen See: Es ist der Schauplatz für fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis heute. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden ein Panorama des letzten Jahrhunderts, das verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.

Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
btb Verlag Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
ann.schnoor@penguinrandomhouse.de
Neumarkter Str.28
DE 81673 München

Autorenportrait

Jenny Erpenbeck, geboren 1967 in Berlin, debütierte 1999 mit der Novelle »Geschichte vom alten Kind«. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Ihr Roman »Aller Tage Abend« wurde von Lesern und Kritik gleichsam gefeiert und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Independent Foreign Fiction Prize. Für »Gehen, ging, gegangen« erhielt sie u.a. den Thomas-Mann-Preis. 2017 gewann Jenny Erpenbeck den Premio Strega Europeo und wurde mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Leseprobe

Bis zum Felsmassiv, das inzwischen nur noch als sanfter Hügel oberhalb des Hauses zu sehen ist, schob sich vor ungefähr vierundzwanzigtausend Jahren das Eis vor. Durch den ungeheuren Druck, den das Eis ausübte, waren die erfrorenen Stämme der Eichen, Erlen und Kiefern zerknickt und niedergemalmt worden, Teile des Felsmassivs waren gesprengt, zersplittert, zerrieben worden, Löwe, Gepard und Säbelzahnkatze in südlichere Gegenden vertrieben. Über das Felsmassiv hinweg drang das Eis nicht. Dann wurde es nach und nach still, und das Eis begann seine Arbeit, den Schlaf. Während es über Jahrtausende hinweg seinen riesigen kalten Körper nur zentimeterweise ausstreckte oder herumschob, schliff es die Felsbrocken unter sich allmählich rund. In wärmeren Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten schmolz das Wasser an der Oberfläche des Eisblocks ein wenig, und glitt an Stellen, an denen der Sand unter dem Eis leicht fortzuspülen war, unter den schweren riesigen Leib. So trat das Eis, wo eine Erhebung sein Vorankommen hinderte, als Wasser sich selbst unterlaufend, den Rückweg an und floß bergab. In kälteren Jahren war das Eis einfach nur da, lag und war schwer. Und wo es, schmelzend, in wärmeren Jahren Rinnen unter sich in den Boden gegraben hatte, da preßte es in den kälteren Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten sein Eis mit aller Macht wieder hinein, um sie zu verschließen.Als vor etwa achtzehntausend Jahren erst die Zungen des Gletschers zu schmelzen begannen und dann, während die Erde sich weiter erwärmte, überhaupt alle seine südlicheren Glieder, ließ er nur wenige Pfänder in der Tiefe der Rinnen zurück, Inseln von Eis, verwaistes Eis, Toteis wurde es später genannt.Vom Körper, zu dem es einst gehört hatte, abgeschnitten und eingesperrt in die Rinnen, taute dieses Eis erst viel später, etwa um dreizehntausend vor Beginn der christlichen Zeitrechnung wurde es wieder Wasser, versickerte in der Erde, verdunstete in der Luft und regnete wieder herab, als Wasser begann es, zwischen Himmel und Erde zu kreisen. Wo es nicht tiefer dringen konnte, weil der Boden schon satt war, sammelte es sich über dem blauen Ton und stieg an, schnitt mit seinem Spiegel quer durch die dunkle Erde und wurde nur in der Rinne wieder sichtbar als klarer See. Der Sand, den das Wasser selbst vom Felsen gerieben hatte, als es noch Eis war, rutschte jetzt hier und da von den Seiten in diesen See und sank auf dessen Grund, so bildeten sich an manchen Stellen unterseeische Berge, an anderen Stellen blieb das Wasser so tief, wie die Rinne ursprünglich war. Eine Zeitlang würde der See jetzt inmitten der märkischen Hügel seinen Spiegel dem Himmel hinhalten, würde glatt daliegen zwischen Eichen, Erlen und Kiefern, die jetzt wieder wuchsen, viel später würde er, wenn es irgendwann Menschen gab, von diesen Menschen sogar einen Namen bekommen: Märkisches Meer, aber eines Tages würde er auch wieder vergehen, denn, wie jeder See, war auch dieser nur etwas Zeitweiliges, wie jede Hohlform war auch diese Rinne nur dazu da, irgendwann wieder ganz und gar zugeschüttet zu werden. Auch in der Sahara gab es einmal Wasser. Erst in der Neuzeit trat dort das ein, was man in der Wissenschaft als Desertifikation bezeichnet, zu deutsch Verwüstung.Der GärtnerWoher er gekommen ist, weiß im Dorf niemand. Vielleicht war er immer schon da. Er geht den Bauern bei der Veredelung ihrer Obstbäume im Frühling zur Hand, okuliert Wildlinge um Johannis auf treibende, oder im zweiten Safttrieb auf schlafende Augen, kopuliert die Äste der zu veredelnden Bäume oder schäftet sie an, je nach Dicke, bereitet die notwendige Mischung aus Harz, Wachs und Terpentin und verbindet die Wunde dann mit Papier oder Bast, jeder im Dorf weiß, daß die Bäume, die von ihm umgepfropft werden, beim weiteren Wachsen die regelmäßigsten Kronen zeigen. Im Sommer wird er von den Bauern als Schnitter und zur Aufstellung der Hocken geholt. Auch bei der Trockenlegung des dunklen Bodens der Parzellen am Seeufer fragt man ihn gern um Rat, er ver Leseprobe
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