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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442376278
Sprache: Deutsch
Umfang: 544 S.
Format (T/L/B): 4 x 18.4 x 11.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Authentisch, dramatisch und leidenschaftlich: Eine Frau träumt von ihrer Heimat – Tibet … Ihre tibetischen Wurzeln bedeuten der Architektin Dolkar nur wenig. In der Schweiz aufgewachsen erlebt sie zwar die buddhistischen Traditionen ihrer Familie, aber nie spricht ihre Mutter Sonam von der Heimat und ihrem Weg ins Exil. Erst als Dolkar die schrecklichen Narben auf Sonams Körper entdeckt und sie zur Rede stellt, erwacht zaghaft die Vergangenheit. Doch viele Fragen bleiben offen. Entschlossen, die wahre Geschichte ihrer Familie zu ergründen, reist Dolkar nach Lhasa. Doch welche Antworten wird sie dort finden?

Autorenportrait

Federica de Cesco, geboren in der Nähe von Venedig, wuchs mehrsprachig in verschiedenen Ländern auf. Heute lebt sie mit ihrem Mann, einem japanischen Fotografen und Schriftsteller, in der französischen Schweiz. Sie steht seit vielen Jahren in enger Verbindung zur dort ansässigen ältesten und größten Gemeinde von Exil-Tibetern in Europa und engagiert sich seit Langem für die Autonomie Tibets. Federica de Cesco hatte bereits über fünfzig höchst erfolgreiche Romane für Kinder und Jugendliche sowie mehrere Sachbücher verfasst, bevor ihr mit Silbermuschel ein fulminantes Debüt in der Erwachsenen-Belletristik gelang. Ihr Leben wurde 2008 in dem Film Federica de Cesco porträtiert. Mehr dazu unter: www.decesco-film.ch

Leseprobe

Ich sa?da, in eine Decke eingeh?llt, und fror. Ich war schl?ig. Die Zeitverschiebung. Mein K?rper war schon zur?ck, mein Geist noch in Tagtr?en gefangen. Was hatte ich erlebt? Die verblassenden Szenen, die noch vor wenigen Augenblicken in der Erinnerung an mir vorbeigezogen waren, l?sten sich auf und formten sich neu, denn jenseits von Ahnen und Begreifen wird die Welt unabl?ig wiedergeboren. Nichts kann diese Vorw?sbewegung aufhalten, die vergessene Ereignisse gegenw?ig macht. Das einst Erlebte, aus welcher Ferne es auch kommen mag, kann wieder klar gesehen werden. Der alte M?nch kannte das Geheimnis und hielt nach der Vergangenheit Ausschau. Er sah die Dinge kristallklar und unglaublich leuchtend, weil sie in seiner Erinnerung nie verblasst waren. ?Das kannst du auch?, hatte er mir mit gro?m Nachdruck eingesch?t. Es sei keine durch Anstrengung erworbene Kraft. Was f?r ihn selbst gut sei, gen?ge auch f?r mich. Ich hatte ihm zuerst nicht geglaubt, wieso auch? Jetzt aber ging ich mit weichen Knien meine Handtasche holen und zog das Bild, das Lhamo mir in Lhasa gegeben hatte, aus dem Umschlag. Mein Gro?ater hatte das Haus mit einer Rolleiflex fotografiert. Ich wusste, dass er eine eigene Dunkelkammer hatte und die Filme selbst entwickelte. Alte Bilder ziehen sich in sich selbst zur?ck, wie alte Menschen es tun; alte Bilder sterben. Der M?nch, dessen Namen ich nie erfahren hatte, brauchte kein Bild, um Buddha zu sehen. Er ertr?te sich, was er brauchte, rief im Geist die Erinnerungen wach. Es war ein Akt der Wiederbelebung. Was hatte Lhamo gesagt? Dass sie das Bild seit vielen Jahren nicht mehr angesehen hatte. Seltsam. Woher kamen dann die Fingerabdr?cke? Warum f?hlten sich Lhamos H?e damals so schwer an, so schwer wie Stein? Sie hatte nur das Bild zu geben gehabt und hatte es mir gegeben. F?r alles, was ich ihr h?e geben k?nnen, sah sie keine Verwendung mehr. Ich legte das Foto vor mich auf den Tisch und betrachtete das Haus. Ich betrachtete es lange, eindringlich, pr?e mir jede Einzelheit ein. Ich f?hlte dabei eine Art Vakuum in mir, eine ?elkeit. Einst war das Haus gro?und pr?tig und voller Leben gewesen. Auch jetzt war es noch nicht tot. Das Haus schwebte in einem Anderswo, das ganz nahe war. Einem Anderswo, das vibrierte. Ich konzentrierte meine Vorstellungskraft. Viele Leute w?n gewiss f?g, ein solches Haus zum Leben zu erwecken, vorausgesetzt, sie w?ssten, dass sie es k?nnten. Weil es bei einer Wiederbelebung nicht um mehr oder weniger Kraft ging, nicht um Willensst?e. Der M?nch wusste genau, worum es ging. Um etwas ganz anderes, n?ich um das, was die Menschen Glauben nennen. Einen Bewusstseinszustand, der frei von Gedanken oder Gem?tsbewegungen irgendwelcher Art ist. Das Bild zeigte nur ein kleines Teilchen der Vergangenheit, aber wo so ein Bild ist, r?hrt sein Anblick an Tiefen, die wir nur mit den Tiefen vergleichen k?nnen, wie sie ein Symphonieorchester in uns ?ffnet, wenn wir die Musik kennen, verstehen und lieben. Beharrlich arbeitete ich mich in die Sache hinein, starrte auf das Bild. Ich konnte h?ren, wie ich atmete, schnell und kurz. Warum hatte ich Schmerzen im R?ckgrat? Warum sa?ich schon so lange unbeweglich da mit dem Bed?rfnis, mich zu kratzen und auf die Toilette zu gehen? Man kann ein Bild anschauen, man kann es nicht bewohnen. Man kann nur verr?ckt dabei werden, das wird es wohl sein. Oder auch nicht? Und mit einem Mal fuhr ich auf, mit einem seltsamen Zucken im Nacken, als ob eine Schnur riss. Klack! Mir war, als ob das Foto in meinen H?en zur?ckschnellte, als ob das Haus sich - leicht schwankend - aufrichtete und vergr??rte. Die W?e strebten seitw?s empor, gewannen an Form, festigten sich. Tats?lich kam es auf die Beharrlichkeit an, alles Ertr?te war nur eine Sache der Geduld. Noch eine kleine Anstrengung - sie war nicht der Rede wert! Ich f?hlte einen Schauder voraus, der kein Schauder der Angst war. Das Abgelebte w?rde aufleben und wieder ablaufen, wie es gewesen war. Dass alles der Wahrheit ents