Beschreibung
Mit Oswald von Wolkenstein erscheint um 1400 die Wirklichkeit in der Lyrik: Er singt nicht mehr vom Paradiesgärtlein, sondern von seiner südtiroler Heimat, er dichtet nicht mehr anonyme Damen an, sondern die eigene Ehefrau Gret. Oswald, die dominierende Dichtergestalt seiner Zeit, war aber nicht nur sprachspielerischer Autor, sondern auch ambitionierter Komponist. Die neue Reclam-Ausgabe stellt sein Werk in einer umfangreichen Auswahl vor: über 40 seiner Lieder im frühneuhochdeutschen Original und neuer Übersetzung, dazu die Melodien und ein ausführlicher Kommentar.
Autorenportrait
Oswald von Wolkenstein, um 1376/77 wahrscheinlich auf Burg Schöneck im Pustertal (Südtirol) - 2. 8. 1445 Meran. Der aus einem Südtiroler Adelsgeschlecht stammende O. verließ, nimmt man das so genannte Rückblicklied Es fügt sich beim Wort, im Alter von zehn Jahren seine Heimat und zog als Knappe und Soldat durch halb Europa. Um 1400 kehrte er zurück und suchte, häufig in Auseinandersetzungen und Erbstreitigkeiten mit Verwandten und Nachbarn verstrickt, als wenig vermögender Zweitgeborener seine materielle Basis zu verbessern - z. T. mit drastischen Folgen (Gefangenschaft und Folter). Zugleich war er politisch aktiv, gehörte der adeligen Opposition gegen Herzog Friedrich an und nahm seit 1415 an diplomatischen Missionen und Kriegen König Sigmunds teil (zuletzt 1431 an einem Hussitenfeldzug und 1432 an einer Unternehmung in der Lombardei). In Tirol blieb er in der Landespolitik tätig. Das Werk des bedeutendsten dt. Lyrikers des Spätmittelalters ist u. a. in zwei von O. selbst angelegten und mit Autorenporträts versehenen Handschriften überliefert und umfasst rund 130 Lieder, die etwa zwischen 1400 und 1440 zu datieren sind. Sie spiegeln ein breites Gattungsspektrum von Marienliedern, Sündenklagen und Beichtliedern über Reiselieder und Sprüche bis hin zu den verschiedenen Formen des Minnesangs. Hier erreicht v. a. die Gattung des Tagelieds einen letzten Höhepunkt. Virtuos und originell ist O.s Sprachbehandlung und ohne Beispiel bei seinen Zeit-genossen das Eindringen des Biographischen, Persönlichen in die Dichtung, allerdings vielfach gebrochen durch Ironie, Parodie und literarische Traditionen. Als Komponist steht er in der Geschichte des dt. Liedes, angeregt durch romanische Vorbilder, am Anfang der Mehrstimmigkeit. In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (UB 17664.) - © 2001, 2006 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart. Horst Brunner, 1940 in Braunschweig geboren, studierte Germanistik, Musikwissenschaft und lateinische Philologie in Erlangen und Zürich. Er wurde 1966 in Erlangen mit einer Arbeit aus der Neueren deutschen Literaturgeschichte promoviert, 1971 habilitierte er sich für das Fachgebiet Deutsche Philologie. 1981 übernahm er den Lehrstuhl für deutsche Philologie an der Universität Würzburg. Burghart Wachinger, 1932 in München geboren, studierte lateinische, griechische und deutsche Philologie in München. Promoviert wurde er 1958 ebenfalls in München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Deutsche Literatur des Spätmittelalters, Lyrik und kleinere Formen, Überlieferungsgeschichte sowie Textkritik und Edition. 1969 übernahm er die Professur für Mediävistik am Deutschen Seminar an der Universität Tübingen.